„Das Hochwasser hat allen gezeigt, dass die Ostsee keine gemütliche Badewanne ist.“
Jörg Reinhardt ist Sachgebietsleiter des Brand- und Katastrophenschutzes im Kreis Schleswig-Flensburg. Bevor er 2022 zum Kreis kam, war er über 20 Jahre bei der Berufsfeuerwehr im Einsatz. Als die Sturmflut im Oktober 2023 die Gemeinden an der Ostseeküste überraschte, hat Jörg Reinhardt das Lagezentrum des Kreises in Schleswig geleitet.
Letzte Aktualisierung: 15.05.2024
Wir hatten das Katastrophenschutzamt des Kreises gerade erst grundlegend umstrukturiert. Am 1. Juni habe ich die Leitung übernommen. Die Sturmflut im Herbst 2023 war unsere Feuertaufe in den neuen Strukturen. Ich war davon überzeugt, dass es klappt, und das hat es auch. Aber dieses Hochwasser war schon besonders. Es sollte allen gezeigt haben, dass die Ostsee keine gemütliche Badewanne ist.
Das ist doch nicht hoch. Das war mein erster Gedanke, als am Dienstag die ersten Meldungen zu den Pegelständen und den möglichen Entwicklungen kamen. Aber da hatte ich die Nordsee im Kopf, denn da wohne ich. An der Nordsee sieht es aber ganz anders aus als an der Ostsee. Da haben wir viel höhere Deiche, die auch deutlich besser in Schuss sind. An der Ostsee werden die vorhandenen Deiche viel stärker touristisch gesehen und auch genutzt. Sie sind deutlich niedriger, und es gibt oft Knicks und Wanderwege auf den Deichen.
Jedenfalls war auch mir dann schnell klar: Das wird höher als alle Hochwasser in den vergangenen Jahren an der Ostsee! Wir haben die Infos dann am selben Tag an die Gemeinden weitergegeben, unser Lagezentrum in Schleswig aufgebaut und gleich am Mittwoch angefangen, Sandsäcke zu verteilen. Donnerstagnachmittag stand dann fest, dass wir mehr Personal brauchen. Die Dynamik hatte da schon ordentlich an Fahrt aufgenommen. Die Pegelstände stiegen schnell viel höher als ursprünglich vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) berechnet. Die Ereignisse überschlugen sich. Besonders in Arnis. Da hatten wir ein Bereitstellungslager auf dem großen Touristenparkplatz am Ortseingang aufgebaut.
Wir brauchten dort dringend mehr Big Packs. Das sind die ganz großen Sandsäcke. Die Firma, bei der wir sie geordert hatten, sitzt in Minden (Nordrhein-Westfalen). Freitagvormittag haben wir die Big Packs dann mit Blaulicht in sechs Stunden nach Arnis geschafft. Da waren die Deiche inzwischen so aufgeweicht, dass man mit Schubkarren schon nicht mehr drauf konnte. Als am Freitag dann gegen 23 Uhr das Wasser auf den Parkplatz lief, mussten wir eine Entscheidung treffen. Wir haben den Bereitstellungsplatz geräumt und mussten den Einsatzkräften vor Ort sagen, dass jetzt ihre eigene Sicherheit vorgeht. Das war hart, denn wir haben ihnen praktisch gesagt, dass sie den Ort aufgeben sollen. Die meisten wohnen da ja auch.
Man kann nicht alles retten. Die Erfahrung habe ich als Feuerwehrmann selbst oft gemacht. Ich konnte mir gut vorstellen, wie es den Kolleginnen und Kollegen ging. Zum Glück ging das Wasser noch in der Nacht wieder zurück.
Am nächsten Morgen haben wir es dann gesehen: Der Deich war gebrochen. Die Bundeswehr hat uns eine mobile Faltstraße gelegt, so dass wir die Big Packs hinbringen konnten. Die haben wir dann einfach am Deich versenkt. Wie tief das Loch genau war, konnten wir nicht sehen. Sieben Tage hat es gedauert, bis wir die Löcher im Deich soweit gestopft hatten und das Wasser abpumpen konnten. Ein paar Wochen war der Hochwasserschutz dann das Thema Nummer eins. Inzwischen liegt der Fokus vielerorts wieder darauf, die Orte für die Touristensaison vorzubereiten, die Spielplätze und Campingplätze wieder herzurichten. Der Hochwasserschutz rückt in den Hintergrund. „Katastrophendemenz“ nennen wir das. Bis das nächste Hochwasser kommt …
Das muss sich ändern! Katastrophenschutz, zu dem auch der Hochwasserschutz gehört, muss ein Thema bleiben, das hat die Sturmflut deutlich gezeigt. Ich wünsche mir, dass auch die Gemeinden stärker zusammenarbeiten. Das versuchen wir jetzt auch, über den schon vor dem Oktober-Sturmflut gegründeten Arbeitskreis Gefahrenabwehr/Katastrophenschutz anzustoßen. Wir planen unter anderem Workshops zum Thema. Unsere eigenen Katastrophenschutzlager füllen wir jetzt wieder auf und ergänzen sie – zum Beispiel durch ein neues mobiles Hochwasserschutzsystem. Zur Vorstellung dieses Systems haben wir groß eingeladen. Als Kreis wollen wir hier eine Vorbildfunktion übernehmen.
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