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Landespolizei
Schleswig-Holstein
: Thema: Ministerien & Behörden

Den Opfern ein Gesicht geben

Zum Holocaust-Gedenktag erinnerte die Landespolizei an den jüdischen Rechtsanwalt Friedrich Schumm

Letzte Aktualisierung: 31.01.2022

Friedrich Schumm hatte keine Chance. Als ein hasserfüllter Mob aus SA- und SS-Schergen am 1. April 1933 das Kieler Polizeigefängnis stürmte und den jüdischen Rechtsanwalt mit 30 Schüssen ermordete, schützte ihn kein Polizist. Niemand hielt seine Mörder auf und niemand zog diese später zur Rechenschaft. Dabei hatte Schumm nur seine Eltern besuchen wollen, die in der Kehdenstraße in Kiel ein Möbelgeschäft betrieben. Doch vor dem Laden standen SS-Männer, die ihn daran hindern wollten „bei Juden zu kaufen“. Es kam zu einer Rangelei, ein Schuss löste sich und traf einen der SS-Angehörigen. Schumm meldete sich später freiwillig bei der Polizei, nicht ahnend, dass sein Vertrauen in den Rechtsstaat sein Todesurteil sein würde.

Ein Kranz für Friedrich Schumm, stellvertretend für die sechs Millionen Opfer des Holocausts. Quelle: Landespolizei Schleswig-Holstein
Stilles Gedenken an Friedrich Schumm: Landespolizeidirektor Michael Wilksen, Vanessa Berecke, Götz von Elbe Quelle: Landespolizei Schleswig-Holstein
Stilles Gedenken an Friedrich Schumm: Polizeiseelsorger Christian Kiesbye, Igor Wolodarski, Vorsitzender der jüdischen Gemeinschaft SH, Landespolizeidirektor Michael Wilksen, Vanessa Berecke, Götz von Elbe und Jana Reuter (v.l.) bei der Kranzniederlegung. Quelle: Landespolizei Schleswig-Holstein
Landespolizeidirektor Michael Wilksen im Gespräch mit Polizeiseelsorger Christian Kiesbye. Auf jüdischen Friedhöfen ist eine Kopfbedeckung für Männer vorgeschrieben. Quelle: Landespolizei Schleswig-Holstein
Landespolizeidirektor Michael Wilksen im Gespräch mit Medienvertretern im Betsaal des jüdischen Museums, unterstützt von Igor Wolodarski und Vanessa Berecke. Quelle: Landespolizei Schleswig-Holstein
Im Judentum überlässt man die Gräber der Natur, um die Totenruhe nicht zu stören: Der jüdische Friedhof in Westerrönfeld. Quelle: Landespolizei Schleswig-Holstein

Zum Internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocausts am 27. Januar 2022 erinnerte die Landespolizei mit einer Kranzniederlegung am Grab Friedrich Schumms an dessen Schicksal – stellvertretend für mehr als sechs Millionen Juden, die durch das NS-Terrorregime ermordet worden sind. Parallel dazu unterstützt die Landespolizei das Projekt der "IRemember Wall" auf der Webseite der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem. Dort wird virtuell mit einem Post an Friedrich Schumm erinnert. Die Landespolizei ist mit der Gedenkstätte Yad Vashem durch eine Kooperation freundschaftlich verbunden und hat die Erinnerungsaktion im letzten Jahr erstmals mit einem eigenen Beitrag begleitet.

Schumms schlichter Grabstein steht versteckt auf dem jüdischen Friedhof in Westerrönfeld, einem kleinen, umzäunten und von Efeu überwuchertem Areal, das verwunschen und wie aus der Zeit gefallen erscheint. Mit Moos bewachsene Grabsteine ragen aus dem weichen Waldboden, der mit einer dicken Schicht Herbstlaub bedeckt ist. Hier gibt es keine bepflanzten Blumenbeete oder breite Wege, denn die Totenruhe gilt ewig und ist heilig, niemand soll sie stören, wie Igor Wolodarski, Vorsitzender der jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein, bei der Kranzniederlegung erklärte. „Anders als auf christlichen Friedhöfen lassen wir die Gräber hier in Ruhe.“ Für den Wunsch der Landespolizei, am Holocaust-Gedenktag einen Kranz niederzulegen, hat die jüdische Gemeinschaft allerdings eine Ausnahme gemacht. „Das ist deshalb eine tolle Aktion, weil sie nicht von der Politik oder durch jüdische Verbände angeregt worden ist, sondern von der Polizei selbst, als Teil der Gesellschaft“, sagte Wolodarski im Anschluss bei einem Gespräch mit Medienvertretern im Jüdischen Museum Rendsburg.

Friedrich Schumm
Friedrich Schumm

Zuvor hatte Landespolizeidirektor Michael Wilksen mit einer kleinen Delegation der Landespolizei den Kranz auf einem Gestell neben dem Grabfeld platziert, weiße Lilien und rote Gerbera für Friedrich Schumm. „In Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“ steht auf der Schleife, auf einer zweiten „Landespolizei Schleswig-Holstein“. Um den Frieden der Ruhestätte nicht zu stören, äußerte sich Wilksen erst im historischen Betsaals des Jüdischen Museums dazu. Die Kranzniederlegung sei viel mehr als nur ein Symbol – sie sei ihm ein persönliches Anliegen. „Als Polizei wollen wir uns unserer Geschichte stellen und Verantwortung übernehmen.“ Die Landespolizei habe einen weiten Weg zurückgelegt und sei heute eine demokratische Bürgerpolizei, deren Selbstverständnis auf den Grundsätzen des werteorientierten, freiheitlichen Rechtsstaates basiere. Aber es gebe eben auch ein dunkles Kapitel, in dem die Polizei Freund und Helfer des Terrors gewesen sei. Dieses müsse - auch mit Blick auf personelle Kontinuitäten nach dem Zweiten Weltkrieg – sorgsam aufgearbeitet werden.

Logo von YadVashem - The World Holocaust Remembrance Center
https://iremember.yadvashem.org

Jonas Kuhn, Leiter des Jüdischen Museums, hält diese bewusste Auseinandersetzung für sehr wichtig. „Auch als Polizist und kleines Rädchen im NS-Apparat hatte man damals einen gewissen Handlungsspielraum“, betonte er. Niemand könne Schuld von sich weisen mit der Begründung, er habe keine Wahl gehabt. Igor Wolodarski rief dazu auf, sich verstärkt Gedanken über die Erinnerungskultur der Zukunft zu machen. „Bald gibt es keine Zeitzeugen mehr, daher müssen wir neue Formen einer lebendigen Erinnerungskultur finden.“ Damit der Antisemitismus der Gegenwart erfolgreicher bekämpft werden könne, brauche es eine „gesellschaftliche Mitte, die nicht gleichgültig ist“. Die wahren Wurzeln des Antisemitismus in Deutschland seien immer noch nicht aufgedeckt, dabei seien diese noch tief in der Gesellschaft verankert. „Es ist eine jahrtausendealte Tradition: Immer wenn es Spannungen in der Gesellschaft gibt, werden auch die antisemitischen Stimmen lauter.“

Autorin: Carola Jeschke (Pressesprecherin Landeskriminalamt)

 

Zitat:
Die Gespräche nach der Kranzniederlegung haben einmal mehr deutlich gemacht, dass die aktive Auseinandersetzung der Landespolizei mit ihrer Geschichte viel mehr ist als nur der Blick zurück. Es geht um die Gegenwart und die Zukunft: Was haben wir gelernt, welche Werte leiten uns heute und was können wir tun – für eine lebendige Erinnerungskultur und gegen ein Wiedererstarken antisemitischer Kräfte.

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