Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die 82jährige Klägerin war nach Betätigen des Haltesignals noch während der Fahrt aufgestanden und hatte sich einhändig festgehalten, während sie in der anderen Hand eine Tasche und einen Schirm trug. Bei einem Linksabbiegevorgang des Busses führte der Fahrer eine abrupte Notbremsung durch, weil er eine vorschriftsmäßig die Fahrbahn überquerende Fußgängerin übersehen hatte. Hierbei kam die Klägerin zu Fall und verletzte sich erheblich.
Das Landgericht hatte ihre Klage abgewiesen und argumentiert, es komme nicht darauf an, ob den Busfahrer ein Verschulden an dem plötzlichen Bremsmanöver treffe. Denn das eigene Verschulden der Klägerin sei so erheblich, dass der mögliche Verursachungsbeitrag des Busfahrers dahinter zurücktrete. Ein Fahrgast in einem Linienbus habe eigenverantwortlich dafür zu sorgen, dass er auch bei plötzlichen ruckartigen Bewegungen oder Bremsungen nicht zu Fall komme. Dazu gehöre es, nach Möglichkeit einen Sitzplatz einzunehmen oder sich mit beiden Händen festzuhalten. Die Klägerin sei ohne Grund während der Fahrt aufgestanden und habe sich nur mit einer Hand an der Haltestange festgehalten.
Nicht ganz richtig, findet das Oberlandesgericht. Zwar teilt es die Auffassung des Landgerichts, dass die Klägerin ein erhebliches Mitverschulden an dem Sturz treffe. Denn jeder Fahrgast habe selbst dafür zu sorgen, dass er bei typischen oder zu erwartenden Bewegungen eines Busses nicht zu Fall komme. Hierzu sei es insbesondere bei fortgeschrittenem Alter notwendig, sich mit beiden Händen festzuhalten. Das grundsätzlich anzunehmende Eigenverschulden der Klägerin, die dem nicht nachgekommen sei, reduziere sich hier aber dadurch, dass der Busfahrer schuldhaft eine abrupte Notbremsung wegen der von ihm zuvor übersehenen Fußgängerin habe vornehmen müssen. Die Verantwortung für den Sturz teilten sich beide deshalb jeweils zur Hälfe. Der Klägerin steht damit 50 % ihres Anspruchs auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen den Busfahrer und den verklagten Verkehrsbetrieb zu.
Das Urteil ist rechtskräftig.
OLG Schleswig: Az. 7 U 125/22
Vorausgehend LG Lübeck: Az. 9 O 2/22