Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Schreiben vom 30. August 2021 erhielten Sie bereits einige Informationen zu geplanten Umsetzungsschritten der Reform des SGB VIII durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz in Schleswig-Holstein. Zwischenzeitlich haben wir einige gesetzgeberische Änderungen vollzogen und zu einigen Punkten organisatorische Hinweise und Auslegungshilfen erarbeitet.
Am 24. November 2022 hat die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der Landesjugendämter zudem die „Handlungsleitlinien zur Umsetzung der durch das Kinder und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) eingeführten Änderungen in den §§ 38, 45 ff. SGB VIII im Arbeitsfeld der Betriebserlaubnis erteilenden Behörden“ beschlossen, die sie unterder laufenden Nummer 159 hier aufrufen können.
Auf einige Aspekte wird im Folgenden nochmals mit landesrechtlichen Auslegungen und Hinweisen näher eingegangen:
- § 38 SGB VIII „Zulässigkeit von Auslandsmaßnahmen“
- § 45a SGB VIII „Einrichtungsbegriff, Legaldefinition“
- § 46 SGB VIII „Prüfung vor Ort und nach Aktenlage“
- § 47 GB VIII „Melde- und Dokumentationspflichten“
Zu 1. Zulässigkeit von Auslandsmaßnahmen gem. § 38 SGB VIII
Wie Ihnen bekannt ist, sind die Voraussetzungen für sog. „Auslandsmaßnahmen“ in § 38 SGB VIII zusammengefasst worden. Diese beziehen sich auf alle Unterbringungen im Ausland über Tag und Nacht und gelten somit für alle Standort- und Reiseprojekte. Auch bei kurzzeitigen Unterbringungen sind die Vorgaben des § 38 SGB VIII zu beachten und vor der Unterbringung entsprechende Konsultationsverfahren durchzuführen. Die Jugendhilfemaßnahme darf erst begonnen werden, wenn die zuständige Stelle im Ausland die Zustimmung erteilt, bzw. die Notwendigkeit eines Konsultationsverfahrens verneint hat.
Bei Reiseprojekten in bzw. durch verschiedene Länder ist mit deren zentralen Behörden vorab zu klären, ob ein Konsultationsverfahren erforderlich ist. In solchen Fällen ist an jedes Land, durch das die Reise führt, eine entsprechende Anfrage zu stellen und ggf. ein Konsultationsverfahren durchzuführen. Informationen zum Konsultationsverfahren finden Sie hier.
Grundsätzlich sind „Unterbringungen“ im Ausland zu unterscheiden von Auslandsaufenthalten, die im Rahmen von Erziehungshilfemaßnahmen zu Erholungs- oder Freizeitzwecken nur kurzzeitig im Ausland stattfinden. Ferienfreizeiten einer im Inland ansässigen Einrichtung mit eigenen Betreuungskräften fallen nach hiesiger Auffassung nicht in den Anwendungsbereich des § 38 SGB VIII.
Aufgrund divergierender Einschätzungen zu der o.g. Unterscheidung von reinen Freizeitaufenthalten bemüht sich das Bundesamt für Justiz (BfJ) um eine einheitliche Auslegung von Art. 82 Brüssel IIb-VO bzw. des Art. 33 KSÜ auf EU-Ebene. In Zweifelsfällen können entsprechende Anfragen direkt an die Zentrale Behörde im Bundesamt für Justiz oder an die Zentrale Behörde des betreffenden Staates gestellt werden. Die Prüfung und Sicherstellung der Voraussetzungen gem. § 38 Abs. 2 SGB VIII obliegt – ebenso wie die Überprüfung und Fortschreibung des Hilfeplans – dem fallzuständigen Jugendamt.
Zudem hat der Gesetzgeber mit § 38 Abs. 5 SGB VIII Meldepflichten des fallzuständigen Jugendamtes gegenüber der zuständigen betriebserlaubniserteilenden Behörde an seinem Sitz eingeführt. Das fallzuständige Jugendamt hat gemäß § 38 Abs. 5 SGB VIII unverzüglich folgende Angaben zu übermitteln:
- Beginn und geplantes Ende der Leistungserbringung im Ausland,
- Name und Anschrift des Leistungserbringers,
- Aufenthaltsort des Kindes oder Jugendlichen,
- Name der mit der Erbringung der Hilfe betrauten Fachkräfte,
- Änderungen der Angaben unter 1. - 4.,
- die bevorstehende Beendigung der Leistungserbringung im Ausland sowie
- einen schriftlichen Nachweis zur Erfüllung der aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des aufnehmenden Staates entsprechend der Maßgaben des Art. 82 Brüssel IIb-VO bzw. des Art. 33 KSÜ.
Um den Jugendämtern in Schleswig-Holstein die Meldungen zu erleichtern, haben wir einen Vordruck entwickelt, der sowohl für Erst- als auch Fortsetzungs- und Beendigungsmeldungen der Auslandsmaßnahmen eingesetzt werden kann.
Die Meldungen sind beim Landesjugendamt Schleswig-Holstein an das Referat VIII 30 (Einrichtungsaufsicht und Trägerberatung) zu tätigen. Sollten Sie weitere Fragen zu den erforderlichen Meldeinhalten bzw. fallbezogenen Meldungen haben, stehen Ihnen das Referat VIII 30 (Frau Ratjens, Tel. 0431 – 988 5464) und in internationalen Sorgerechtsverfahren das Referat VIII 31 (Frau von Kielpinski, Tel. 0431 – 988 5545) gerne beratend zur Seite.
Zu 2. Landesrecht zu § 45a SGB VIII – Einrichtungsbegriff
Mit der Einführung des § 45a SGB VIII wird erstmals der Begriff der erlaubnispflichtigen Einrichtung legaldefiniert.
Bundesrechtlich bedürfen demnach familienähnliche Betreuungsformen, die nicht fachlich und organisatorisch in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung eingebunden sind, keiner Betriebserlaubnis.
Der schleswig-holsteinische Gesetzgeber hat zwischenzeitlich von dem Landesrechtsvorbehalt in § 45a S. 4 SGB VIII Gebrauch gemacht und in § 42 Abs. 1 Jugendförderungsgesetz SH (JuFöG) normiert, dass familienähnliche Betreuungsformen (familienanaloge Wohnformen) auch unabhängig von der fachlichen und organisatorischen Einbindung in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung einer Betriebserlaubnis bedürfen, sofern Hilfen zur Erziehung über § 33 SGB VIII und den Umfang einer Erlaubnis nach § 44 SGB VIII hinaus erbracht werden. Für diese Einrichtungen gelten entsprechend weiterhin auch die Regelungen der Kinder- und Jugendeinrichtungsverordnung SH (KJVO).
Zu 3. Prüfungen vor Ort und nach Aktenlage gem. § 46 SGB VIII
§ 46 SGB VIII regelt die Prüfmöglichkeiten – Informations- und Betretungsrechte – der betriebserlaubniserteilenden Behörde.
Regelhafte routinemäßige Gesamtüberprüfungen sind auch nach der Gesetzesänderung nicht vorgeschrieben. Bei Bedarf sind jedoch umfassende Prüfungen – auch unangemeldet – möglich. Neben den Prüfungen vor Ort sind nun auch Prüfbefugnisse im schriftlichen Verfahren geregelt. Es ist Aufgabe der betriebserlaubniserteilenden Behörde, den jeweiligen Prüfbedarf und etwaige Prüfroutinen zu ermitteln.
Insbesondere in Einrichtungen, in denen stationäre Maßnahmen erbracht werden (FaW, stationäre Wohngruppen und Einrichtungen, Internate), haben die Personensorgeberechtigten wenig Einblick und Einfluss auf das Geschehen vor Ort. Die Alltagssorge wird zudem regelhaft von den Mitarbeitenden der Einrichtung wahrgenommen. Um den Schutz der Kinder und Jugendlichen im Sinne des § 45 SGB VIII sicherzustellen, ist das Landesjugendamt Schleswig-Holstein bestrebt, alle stationären Einrichtungen regelhaft im Turnus von vier Jahren zu prüfen.
In teilstationären Einrichtungen (z.B. Kindertagesstätten und Tagesgruppen) werden die Kinder und Jugendlichen lediglich einen Teil des Tages durch andere Erziehungspersonen betreut. Entsprechend haben die Personensorgeberechtigten in der Regel den direkten täglichen Kontakt zu ihren Kindern sowie einen intensiveren Einblick in die Arbeit der Einrichtung. Sie üben die Alltagssorge aus und können sich direkt informieren und ggf. intervenieren, sofern sie es zum Wohl ihres Kindes/Jugendlichen für erforderlich halten. Daher sind hier örtliche Prüfungen anlassunabhängig auch in größeren Abständen durch die betriebserlaubniserteilende Behörde denkbar. Grundsätzlicher Maßstab behördlicher Maßnahmen bleibt stets die Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit im Einzelfall.
Zu 4. Gegenseitige Informationspflichten gem. § 47 SGB VIII
Die bisherigen Meldepflichten betrafen lediglich die Einrichtungsträger (§ 47 Abs. 1. SGB VIII). § 47 Abs. 2 SGB VIII regelt hier zusätzliche Dokumentationspflichten sowie die mindestens 5-jährige Aufbewahrung der einrichtungsbezogenen Aufzeichnungen.
Für einen Informationsaustausch zwischen Jugendämtern und dem zuständigen überörtlichen Träger musste bisher im Einzelfall die Zulässigkeit der Übermittlung von Sozialdaten gem. § 69 SGB X geprüft werden. Mit dem KJSG ist neu in § 47 Abs. 3 SGB VIII eine gegenseitige Informationspflicht der örtlich und/oder fallzuständigen Jugendämter sowie der betriebserlaubniserteilenden Behörde normiert. Danach sind diese verpflichtet, einander unverzüglich zu informieren, wenn das Wohl der Kinder und Jugendlichen beeinträchtigt ist.
Auch zu diesen Meldungen haben wir als Muster einen Meldebogen entwickelt.
Ich hoffe, dass auch diese Informationen für Sie und Ihre tägliche Arbeit eine hilfreiche Unterstützung bietet. Alle Empfehlungen und Arbeitshilfen der BAGLJÄ sind hier abrufbar.
Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Wilke
Leiter des Landesjugendamtes