„Essstörungen sind auch ein gesellschaftliches Problem“
Monica Bonetti ist diplomierte Psychologin, psychologische Psychotherapeutin und Gesprächspsychotherapeutin. Seit 1993 ist sie bei der Frauenberatungsstelle Eß-o-Eß tätig. Dort berät sie Frauen und Mädchen mit Essstörungen sowie deren Angehörige und leitet Selbsthilfegruppen zum Thema. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Gabriele Schiedeck und der Ökotrophologin Beate Daas initiierte sie zudem ein Projekt zur Prävention von Essstörungen an Schulen.
Frau Bonetti, Sie beraten bei der Frauenberatungsstelle Eß-o-Eß essgestörte Frauen und Mädchen. Was interessiert Sie an dem Thema?
Das Thema Essstörungen ist sehr vielschichtig, es kommen verschiedene Aspekte zusammen: Ernährung, persönliche Probleme, gesellschaftliche Faktoren, psychische Hintergründe und Gewalt. Besonders die gesellschaftliche Komponente finde ich sehr interessant.
Wie viele Betroffene gibt es in Schleswig-Holstein?
In Schleswig-Holstein sind etwa ein Prozent der Bevölkerung von einer Magersucht, drei Prozent von einer Bulimie und 15 Prozent von einer Esssucht betroffen. Das sind rund 500.000 Menschen in Schleswig-Holstein. Die meisten, ungefähr 90 Prozent davon, sind weiblich.
Warum sind überwiegend Frauen und Mädchen betroffen?
In den Medien und in der Gesellschaft wird ein idealisiertes Schönheitsbild gezeichnet. Es sind vor allem Frauen, die sich aufgrund dieses Ideals Druck machen und möglichst genauso aussehen möchten wie die dünnen Models in der Werbung und den Fernsehsendungen. Einige versuchen mit allen Mitteln, das Ideal zu erreichen. Ein weiterer Grund ist, dass Frauen vermehrt als Objekt betrachtet werden, das zum Beispiel durch Schönheitsoperationen sozusagen verbessert werden soll. Wir beobachten, dass zunehmend auch Männer aus ähnlichen Gründen an Essstörungen leiden.
Sie haben 2010 das Projekt zur Prävention von Essstörungen an Schulen ins Leben gerufen. Was ist das Besondere daran?
Wir gehen in die Schulen und sprechen mit den Jugendlichen über Essstörungen, deren Ursachen und Formen. Außerdem zeigen wir ihnen Filme, die zu Diskussionen anregen. Zum Beispiel gibt es einen Film über ein etwas dickeres Mädchen, das Bauchtanz macht. Die erste Reaktion der Jungen und Mädchen darauf war in der Regel ablehnend. Danach haben wir mit ihnen darüber gesprochen, warum sie so denken und wie sich das Mädchen fühlen muss und die Schülerinnen und Schüler sich fühlen würden, wenn so über sie gesprochen würde.
Warum ist ein solches Projekt wichtig für Schleswig-Holstein?
Hier in Schleswig-Holstein kenne ich nur wenige Projekte, die sich mit der Prävention von Essstörungen beschäftigen. Dabei sind Essstörungen ein verbreitetes Problem, über das zu wenig gesprochen wird und mit dem die Menschen zu wenig konfrontiert werden. In unserem Projekt, das von der Techniker Krankenkasse gefördert wird, sollen die Jugendlichen sich unter anderem bewusst machen, welcher Zusammenhang zwischen Ernährung und Gefühlen besteht und dass zum Beispiel manche Menschen essen oder nicht essen, um ihre Probleme zu verdrängen oder sich vor etwas zu schützen.
Was würden Sie dem Umfeld, also Eltern, Freunden und Lehrern raten, die eine Essstörung bei einer Person vermuten?
Eltern sollten eine Essstörung ganz klar bei ihren Kindern ansprechen. Aber sie sollten sehr sensibel dabei vorgehen und über ihre eigenen Gefühle und die ihrer Kinder sprechen. Man kann niemanden zwingen, eine Therapie zu machen, wenn er oder sie nicht selbst sieht, dass es ein Problem gibt. Ein Kompromiss könnte sein, regelmäßig zum Arzt zu gehen und die Blutwerte kontrollieren zu lassen. Daran lässt sich nämlich eine mögliche Mangelernährung ablesen.
Auch die Freunde von essgestörten Menschen sollten ihre Vermutung direkt ansprechen und ihre eigene Grenze gegenüber der betroffenen Person wahrnehmen und beispielsweise sagen: „Ich kann dich in diesem Zustand nicht mehr treffen, weil es mir weh tut zu sehen, wie du immer dünner wirst“. So etwas führt den Betroffenen vor Augen, dass etwas nicht stimmt.
Wenn ein Lehrer eine Essstörung vermutet, sollte möglichst eine Vertrauenslehrerin oder ein Vertrauenslehrer die Schülerin oder den Schüler auf das Problem ansprechen und deutlich machen, was dem Umfeld aufgefallen ist. Zum Beispiel, dass Konzentrationsschwierigkeiten auftreten, sie oder er stark abgenommen und sich von den Mitschülern isoliert hat. Wenn es dann um Beratungsgespräche mit Expertinnen und Experten geht, sollten aber auf jeden Fall die Eltern informiert und einbezogen werden.
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