Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
es ist eine wesentliche Errungenschaft dieser Legislatur, dass wir die Schulen nicht gegeneinander ausspielen. Schülerinnen und Schüler können in Schleswig-Holstein je nach Entwicklungsstand, Leistungsvermögen und Neigung aus verschiedenen Wegen ihren persönlichen Weg zum erfolgreichen Schulabschluss wählen. Das tun sie über das Gymnasium, die Gemeinschaftsschulen, die Förderzentren und die Beruflichen Schulen. Dabei zeichnet sich das gesamte Bildungssystem als besonders durchlässig aus.
Zivilgesellschaft und Wirtschaft profitieren von Menschen mit unterschiedlichen Bildungserfahrungen und Perspektiven. Wir brauchen sie an unseren Hochschulen genauso wie in der dualen Ausbildung, in akademischen Berufen genauso wie in den zahlreichen Berufen des Handwerks. Und ich betone hier noch einmal ausdrücklich: auch die akademische und die berufliche Bildung sind absolut gleichwertig. Deshalb gilt unser neues Landeskonzept Berufsorientierung für alle Schularten, und damit auch für die Gymnasien.
Egal welchen Weg junge Menschen gehen, sie sollten die Chance haben, ihre Ziele zu erreichen – auf direktem Weg und auch mal auf Umwegen. Und das funktioniert bei uns in Schleswig-Holstein immer besser. Die deutsche Bildungswissenschaft hat uns ein gutes Zeugnis ausgestellt.
Der Bildungsbericht 2020 des DIPF zeigt, dass die Zweigliedrigkeit des Schulsystems erfolgreich eine hohe Durchlässigkeit gewährt. Es hat – auch nach der Rückkehr zu G9 – keinen Run auf das Gymnasium gegeben. Ein Teil der Eltern und Kinder entscheiden sich bewusst für das Gymnasium, weil den Kindern das Lernen leichtfällt und dieser direkte, von Anfang an leistungsorientierte Weg zum Abitur mit ausgeprägten fachlichen Schulprofilen für sie der passendste ist. Ein anderer Teil entscheidet sich bewusst für die Gemeinschaftsschule, mit dem Wissen, dass den Kindern und Jugendlichen damit alle Möglichkeiten offenstehen. Sie entscheiden sich für eine stärkere Kultur der Differenzierung und häufig eine stärkere Betonung des sozialen Lernens. Sie treffen diese Entscheidung auch, weil es uns gelungen ist, die ideologische Debatte um das Schulsystem zu beenden und das individuelle Wohl der Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir uns nicht wieder in einer theoretischen Debatte über die Gleichwertigkeit der Abschlüsse verlieren – denn diese Gleichwertigkeit ist längst gegeben. Und das ist gut so.
Gleichwertigkeit heißt aber nicht Gleichartigkeit. Gleichwertigkeit erfordert mitunter sogar bewusste Unterschiedlichkeit. Damit wir jeder einzelnen Schülerin und jedem einzelnen Schüler gerecht werden, müssen wir unterschiedliche Ressourcen einsetzen. Das gilt für die Förderung besonders begabter Schülerinnen und Schüler und das gilt auch für Kinder und Jugendlichen, die beim Start ihrer Bildungsbiografie eben nicht die gleichen Chancen haben. Denn wir alle wissen auch: Die formale Gleichwertigkeit führt nicht automatisch zu mehr Bildungsgerechtigkeit.
Bildungsgerechtigkeit aber ist die zentrale Antwort auf die Gerechtigkeitsdebatte, die in Deutschland zu Recht geführt wird. Sie ist die Voraussetzung, mit der wir das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft verwirklichen: Jeder, der sich anstrengt, kann zu Wohlstand kommen. Und sie ist der Schutzschild unserer Demokratie.
Ein wesentlicher Baustein für mehr Bildungsgerechtigkeit ist unser Perspektivschulprogramm. Damit unterstützen wir gezielt Schulen in herausfordernder Lage mit zusätzlichen Ressourcen. Schleswig-Holstein war neben Nordrhein-Westfalen 2019 das erste Flächenland in Deutschland, das dieses wichtige Thema angegangen ist und einen wesentlichen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit geleistet hat. Mittlerweile haben wir in drei Gruppen aufwachsend kriterien- bzw. indexorientiert 62 Schulen in das Perspektivschulprogramm aufgenommen. Dieses Programm ist von großer Bedeutung – nicht nur für die unterstützten Schulen, sondern für eine nachhaltige Stärkung der Schul- und Unterrichtsentwicklung unseres gesamten Schulsystems. Es geht dabei nicht um ein bloßes lineares „Mehr“ an finanziellen und personellen Ressourcen.
Wir möchten wissen, was Schulen brauchen, um den großen gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht zu werden. Was können und müssen wir tun, um allen Schülerinnen und Schülern bestmögliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Gestaltung ihres Lebens mitzugeben? Wie kann Freude am gemeinsamen Lernen gewonnen und erhalten werden? Wie kann Berufsorientierung gelingen und erfolgreiche Bildungsbiografien auf den Weg gebracht werden?
Die PerspektivSchulen erproben, welche Unterstützung erforderlich ist, um zu mehr Qualität zu gelangen und einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit zu leisten. Dabei werden sie unterstützt durch das Angebot des IQSH aus Fachfortbildung, Didaktischem Training, Schulentwicklungsberatung, Coaching und dem Projekt „Niemanden Zurücklassen“. Ein wesentlicher Partner für uns im PerspektivSchul-Programm ist auch die Wübben Stiftung. Sie unterstützt mit den Schulleitungsakademien gezielt die Schulleitungen bei ihrer so wichtigen Arbeit.
Denn es sind die Menschen an den Schulen – die Schulleitungen, die Lehrkräfte und alle an Schule Beschäftigten – die die Perspektivschulen zu einem Erfolgsprojekt machen. Bei der Bildungsgerechtigkeit kommt es immer auf ihren individuellen Blick auf die Schülerinnen und Schüler an. Eine erste, von der wissenschaftlichen Begleitung vorgelegte Bilanz des Perspektivschulprogramms zeigt:
Trotz Pandemie haben alle Schulen eine positive Entwicklung vollzogen. Das Perspektivschulprogramm wird nicht als Makel, sondern als besondere Wertschätzung und Anerkennung der Arbeit dieser Schulen wahrgenommen. Die Schulleiterqualifizierung wird von den Schulleitungen wertgeschätzt und kann als Grundlage dafür dienen, Schlussfolgerungen für die Qualifizierung von Schulleitungen über die Perspektivschulen hinaus zu ziehen. Ich gebe unseren Schulleitungen an dieser Stelle das Versprechen: Wir werden das PerspektivSchulprogramm weiterentwickeln und die gewonnenen Erkenntnisse für alle Schulen im Land zu nutzen.
Heute möchte ich mich aber vor allem bedanken. Die Menschen an unseren Perspektivschulen leisten eine unglaublich engagierte Arbeit! Zum Ende der Legislatur gilt mein Dank auch allen anderen Schulen, allen Schulleitungen, Lehrkräften und an Schule Beschäftigten. Sie sind eine tragende Säule unserer Gesellschaft und begleiten Kinder und Jugendliche in einer Zeit, die sehr herausfordernd ist und von Krisen geprägt wird: Klimawandel, Pandemie, jetzt Ukrainekrieg. Junge Menschen erleben Gefühle der Unsicherheit und des Kontrollverlusts.
Studienergebnisse deuten darauf hin, dass durch die Pandemie mindestens ein Drittel der jungen Menschen unter psychischen Auffälligkeiten wie Sorgen, Ängsten, depressiven Symptomen und psychosomatischen Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen leidet. Der Krieg in Europa belastet auch Kinder und Jugendliche zusätzlich. Deshalb bin ich dem Landtag sehr dankbar, dass er fraktionsübergreifend zusätzliche Mittel in Höhe von 10 Millionen Euro für ein Sofortprogramm zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit psychosozialen Problemen bereitstellt. Wir werden damit die Brücke zwischen Schule, Schulsozialarbeit und Jugendhilfe weiter stärken und unsere Maßnahmen der Frühintervention, Prävention und Traumapädagogik intensivieren.
Derzeit berät im Bildungsministerium ein „Runder Tisch“ mit außerschulischen Partnern wie Kinderschutzbund, Wohlfahrtsverbände, Pro familia, PETZE, Wendepunkt darüber, welche Maßnahmen über die bestehenden Angebote hinaus in welchen Regionen sinnvoll und zweckmäßig sind. Meine Damen und Herren, die fraktionsübergreifende Unterstützung dieses Antrags ist keine Selbstverständlichkeit – gerade zum Ende einer Legislaturperiode. Das weiß ich sehr zu schätzen. Und es zeigt einmal mehr, was wir in unserer Bildungspolitik in den Mittelpunkt stellen müssen: keine ideologischen Debatten von gestern, sondern das individuelle Wohl der Kinder und Jugendlichen. Das ist uns in dieser Koalition gelungen und teilweise auch fraktionsübergreifend ich diesem Haus.
Gemeinsam haben wir ein kleines Stück mehr Bildungsgerechtigkeit geschafft. Dafür danke ich Ihnen allen sehr!"