Urteil LSG L 8 U 63/16
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Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit noch schnell beim Bäcker vorbei – Ist das noch ein versicherter Arbeitsweg? Wann kleine Umwege auf dem Arbeitsweg noch unter den Schutz der Unfallversicherung fallen bzw. ab wann man davon ausgehen muss, dass der Arbeitsweg unterbrochen wurde und man das Unfallrisiko somit selbst trägt, ist nicht selten von den Sozialgerichten zu entscheiden.
DER FALL
Der Kläger arbeitet als Mechaniker bei einer Firma für Windkraftanlagen. Er fährt immer mit dem Auto zur Arbeit.
An einem Montag im März 2014 fährt er um 17.00 Uhr auf der B 201 von der Arbeit nach Hause. Er entscheidet sich, noch kurz beim Bäcker anzuhalten, um sich Brötchen für das Abendessen zu kaufen. Der Bäcker befindet sich direkt an der B 201, allerdings auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Der Kläger möchte links in eine Querstraße einbiegen, um dort zu parken. Als er den Blinker links setzt und das Lenkrad einschlägt, um in die Querstraße einzubiegen, stößt er mit einem entgegenkommenden Motorrad zusammen. Er erleidet ein Knalltrauma, eine Prellung und eine HWS-Distorsion.
Er möchte, dass die Unfallversicherung den Unfall als Arbeitsunfall anerkennt. Diese lehnt aber ab. Sie ist der Auffassung, dass der Kläger seinen Arbeitsweg durch das Abbiegemanöver verlassen hat.
Gegen diese Entscheidung legt der Kläger Klage beim Sozialgericht Schleswig ein. Er macht geltend, dass er den öffentlichen Verkehrsraum nicht verlassen hat und dass es sich nur um eine geringfügige Unterbrechung des Arbeitsweges gehandelt habe.
DIE ENTSCHEIDUNG
Das Sozialgericht gab der Klage statt. Es ging davon aus, dass es sich um eine nur so geringfügige Änderung des direkten Nachhauseweges gehandelt habe, dass der Kläger letztlich vom versicherten Weg nicht abgewichen sei.
Gegen dieses Urteil ist die Unfallversicherung jedoch in Berufung gegangen.
Das Landessozialgericht sah die Sache anders als das Sozialgericht. Zwar habe sich der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls im Prinzip noch auf dem direkten Nachhauseweg befunden, er habe aber gerade beabsichtigt, diesen Weg zu verlassen, um einer privaten Tätigkeit (Brötchenkaufen) nachzugehen. Durch das Abbiegemanöver sei eine Unterbrechung des Arbeitsweges eingetreten, wodurch der Unfallversicherungsschutz entfallen sei.
DAS RECHT
Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Auch der Weg zur Arbeit und von der Arbeit nach Hause ist versichert.
Ein sogenannter Wegeunfall liegt aber nur dann vor, wenn sich der Unfall auf direktem Weg zwischen Arbeitsstätte und Zuhause ereignet hat. In der Rechtsprechung werden allerdings einige Ausnahmen von diesem Grundsatz anerkannt. Umwege unterfallen danach immer noch dem Unfallversicherungsschutz, wenn sie nötig werden, um Kinder während der Arbeitszeit unterzubringen oder wenn Fahrgemeinschaften gebildet werden und der Umweg dazu dient, einen Kollegen abzuholen oder heimzubringen. Auch kann man Umwege fahren, wenn man zum Beispiel einen Stau vermeiden will.
Sogenannte private Verrichtungen wie zum Beispiel Einkaufen, Tanken oder einen Brief einwerfen unterbrechen demgegenüber den Arbeitsweg. Wird der Weg später fortgesetzt, lebt der Unfallversicherungsschutz wieder auf. Es sei denn, die Unterbrechung hat länger als zwei Stunden gedauert oder der Versicherte hat z.B. Alkohol getrunken.
Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass private Verrichtungen den Unfallversicherungsschutz entfallen lassen, hat das Bundessozialgericht anerkannt, wenn nur eine ganz geringfügige Unterbrechung vorliegt. Das ist dann anzunehmen, wenn weder zeitlich noch räumlich der Weg erheblich verlassen wird und die Verrichtung quasi im Vorbeigehen und ganz nebenher erledigt wird.
Diese Ausnahmefälle lassen sich manchmal nur schwer abgrenzen. So kann es vorkommen, dass Gerichte einen Streitfall unterschiedlich beurteilen. Während das Sozialgericht hier darauf abgestellt hatte, dass der Bäcker direkt in der Straße des Arbeitsweges lag und der Weg daher eigentlich kaum unterbrochen werden musste, hat das Landessozialgericht durch das Abbiegen in die Querstraße ein erhebliches Abweichen vom eigentlichen Weg gesehen, das schon durch den Beginn des Abbiegevorgangs eingeleitet wurde.