Sozialgericht Lübeck, Gerichtsbescheid vom 25. November 2020, S 51 KR 143/18 (PDF, 249KB, Datei ist barrierefrei)
In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Versicherte haben auch im Ausland einen Versicherungsschutz gegen das Risiko der Erkrankung, insbesondere also Anspruch auf Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Dabei besteht im Hinblick auf den Umfang des gegenüber der GKV gegebenen Leistungsanspruchs ein Unterschied danach, ob eine Krankenbehandlung in einem Mitgliedstaat der EU, des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) oder in Schweiz erforderlich wird, oder aber in einem Land, das nicht Mitglied der EU oder des EWR ist. Im ersten Fall haben in der GKV Versicherte einen originären Sachleistungsanspruch auf Krankenbehandlung, können also unmittelbar einen Arzt im EU- bzw. EWR-Ausland in Anspruch nehmen. Unterschieden wird dabei zwischen einem europarechtlichen Sachleistungsanspruch nach den EG-Verordnungen 883/2004 und 987/2009, bei dem sich der Leistungsumfang nach dem krankenversicherungsrechtlichen Leistungssystem des ausländischen Staates richtet, und einem vertraglichen Leistungsanspruch, dessen Umfang sich nach Verträgen richtet, die deutsche Krankenkassen gemäß § 140e SGB V mit ausländischen Leistungserbringern, also insbesondere Ärzten, schließen können. Durch solche Verträge wird im Grundsatz das deutsche Krankenversicherungsrecht nach dem SGB V ins Ausland „exportiert“. Voraussetzung einer solchen Inanspruchnahme (EU-) ausländischer Ärzte oder Krankenhäuser ist aber regelmäßig, dass Versicherte über eine Europäische Krankenversicherungskarte (EHIC) verfügen. Neben dem Sachleistungsanspruch gegen die GKV auf Krankenbehandlung im Ausland können die Versicherten im Falle der Erkrankung in einem Land der EU bzw. des EWR aber auch die Krankenbehandlung zunächst selbst bezahlen und anschließend ihre Krankenkasse auf Kostenerstattung in Anspruch nehmen. Einzelheiten dazu finden sich in den Absätzen 4 – 6 des § 13 SGB V. Im zweiten Fall – also bei Erkrankung in einem Staat, der nicht Mitglied der EU oder des EWR ist – besteht ein Anspruch gegen die GKV nur bei einer unverzüglichen Krankenbehandlungsbedürftigkeit des Versicherten, und das auch nur unter den weiteren Voraussetzungen, dass die Versicherten zuvor versucht haben, eine private Zusatzversicherung über Krankenversicherungsschutz im Ausland abzuschließen, dies aber aus gesundheitlichen Gründen nicht erfolgreich war, und die Krankenkasse eben diesen Umstand vor Reiseantritt festgestellt hatte (vgl. § 18 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Ein krankenversicherungsrechtlicher Anspruch gegen die GKV kommt in diesen Fällen mithin nur unter vergleichsweise engen Voraussetzungen in Betracht. Im Hinblick auf Krankenversicherungsschutz bei Erkrankung im europäischen Ausland steht trotz der Einräumung eines unmittelbaren Sachleistungsanspruchs auf Krankenbehandlung gegen die GKV häufig ein Kostenerstattungsanspruch eines Versicherten gegen seine Krankenkasse im Zentrum von Rechtsstreitigkeiten vor den Sozialgerichten, den dieser nach seiner Rückkehr aus dem Ausland gegen seine Krankenkasse geltend macht, nachdem er die Behandlungskosten im Ausland zunächst aus eigenen Mitteln gegenüber dem Leistungserbringer (Arzt, Klinik etc.) beglichen hatte. So liegt es auch in dem nachfolgend vorgestellten Fall.
Der Fall
Der gesetzlich krankenversicherte und eine Altersrente beziehende Kläger hielt sich im Winterhalbjahr 2016/2017 für mehrere Monate in Spanien auf. Er leidet an einer Augenerkrankung und erhält in diesem Zusammenhang regelmäßig Injektionen. Die hierfür anfallenden Kosten werden von seiner Krankenkasse übernommen. Bei der Behandlung in Deutschland sind dies 360,00 EUR für die ärztliche Behandlung (einschließlich Nachuntersuchung) und 1.099,08 EUR für das Medikament (abzgl. 10,00 EUR Zuzahlung) je Behandlung. Während seines Aufenthalts in Spanien ließ der Kläger mehrere dieser Behandlungen dort vor Ort durchführen. Hierfür fielen Kosten in Höhe von insgesamt ca. 1.683,00 EUR pro Behandlung an, wobei ärztliche Leistungen sowie Kosten für Arzneimittel und weiteres Material getrennt abgerechnet wurden. Dabei lagen die Preise für die reinen ärztlichen Behandlungen über dem in Deutschland von der Krankenkasse zu zahlenden Vergütungssatz, für die Arzneimittelversorgung in Spanien fielen jedoch niedrigere Kosten als in Deutschland an (nämlich nur in Höhe von 799,78 EUR pro Beschaffungsvorgang). Insgesamt verursachten die Behandlungen in Spanien – einschließlich der damit im Zusammenhang stehende Versorgung mit Medikamenten – Kosten in Höhe von 8.691,00 EUR. Diese Kosten stellte der Kläger nach Rückkehr seiner Krankenkasse in Rechnung, die ihm jedoch nur eine Kostenerstattung in Höhe von insgesamt 5.799,55 EUR bewilligte und den darüber hinausreichenden Antrag ablehnte. Dabei rechnete die Krankenkasse die Arztkosten nach den günstigeren deutschen Sätzen ab, die Medikamentenkosten hingegen nach den günstigeren spanischen Sätzen.
Hiergegen erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Lübeck. Dort machte er geltend, seine Krankenkasse sei verpflichtet, ihm den für die Behandlung seiner Augenkrankheit in Spanien aufgewandten Betrag in voller Höhe zu erstatten, denn es sei der Kasse verwehrt, sich im Hinblick auf die ärztlichen Behandlungen einerseits und die Medikamentenversorgung andererseits die jeweils günstigeren Preise aus dem deutschen und dem spanischen Krankenversicherungssystem herauszusuchen und eine Kostenerstattung allein unter Zugrundelegung des sich daraus errechnenden – billigeren – Gesamtpreises vorzunehmen. Die Behandlung seiner Augenkrankheit stelle einen einheitlichen Lebenssachverhalt dar, der sowohl aus der Arztbehandlung als auch aus der damit zusammenhängenden Arzneimittelversorgung bestehe. Diesen einheitlichen Sachverhalt dürfe die Krankenkasse nicht künstlich in zwei aufspalten, um Kosten einzusparen.
Die Entscheidung
Das Sozialgericht hat der beklagten Krankenkasse Recht gegeben und die Klage deshalb abgewiesen. In rechtlich zutreffender Weise habe die Krankenkasse den Erstattungsbetrag hinsichtlich der ärztlichen Behandlungskosten auf den für die entsprechende Leistung in Deutschland von der GKV zu zahlenden Vergütungssatz beschränkt und im Hinblick auf die Arzneimittelbeschaffung allein die dem Kläger auf Gran Canaria für den Erwerb der Medikamente tatsächlich entstandenen Kosten berücksichtigt, nicht aber die höheren Kosten, die für die Medikamentenbeschaffung in Deutschland angefallen wären. Letzteres folge schon daraus, dass die tatsächliche Kostenhöhe eine äußerste Grenze des Erstattungsanspruchs darstelle. In Bezug auf die von dem Kläger auf Gran Canaria bezahlten ärztlichen Leistungen greife eine weitere Begrenzung des Kostenerstattungsanspruchs ein: nämlich eine höhenmäßige Begrenzung auf Kosten in einem Umfang, wie sie die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Richtig sei auch gewesen, dass die Krankenkasse die Arztkosten und die Medikamentenkosten jeweils gesondert betrachtet habe. Denn das SGB V unterscheide im Rahmen der von der GKV geschuldeten Krankenbehandlung zwischen der ärztlichen Behandlung (§ 28 SGB V) einerseits und der Arzneimittelversorgung (§ 31 SGB V) andererseits. Diese verschiedenen Leistungen seien nicht über den einheitlichen Lebenssachverhalt der ärztlichen Behandlung des Klägers miteinander zu verklammern.
Das Recht
Im SGB V gilt der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, der in § 12 Abs. 1 SGB V seinen Ausdruck gefunden hat: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkasse nicht bewilligen.“ Damit ist der krankenversicherungsrechtliche Sachleistungsanspruch, der – im Gegensatz zum Kostenerstattungsanspruch – nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V den Regelfall der Leistungserbringung im Recht der Krankenversicherung darstellt, im Grundsatz auf wirtschaftliche Leistungen begrenzt. Diese Grenze gilt auch für jedweden Kostenerstattungsanspruch, denn dieser tritt an die Stelle des Sachleistungsanspruches, so dass – wirtschaftlich – zwischen beiden Ansprüchen eine Identität besteht. Das Bundessozialgericht formuliert dazu in ständiger Rechtsprechung, dass ein Kostenerstattungsanspruch nicht weiter reicht, als der diesem zugrundeliegende Sachleistungsanspruch (vgl. beispielhaft BSG, Urteil vom 23. Juli 1998, B 1 KR 19/96 R, NZS 1999, 245 ff.). Speziell für den Anspruch auf Erstattung von Kosten, die durch eine Krankenbehandlung im EU- bzw. EWR-Ausland entstanden sind, wird das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB V in § 13 Abs. 4 Satz 3 SGB V nochmals konkretisiert und akzentuiert; die Vorschrift lautet: „Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte.“ Auf diese Norm hat das Sozialgericht in seinem Gerichtsbescheid vom 25. November 2020 maßgeblich abgestellt. Die Wertung des Sozialgerichts, wonach hinsichtlich der maximal erstattungsfähigen Kosten die ärztliche Behandlung und die Medikamentenversorgung getrennt voneinander zu betrachten sind, begründet es mit der Verschiedenheit bzw. Eigenständigkeit der ärztlichen Behandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V einerseits und der Arzneimittelversorgung im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V andererseits. Eine solche Eigenständigkeit leitet es überzeugend aus dem Umstand her, dass die vorstehend genannten Arten der Krankenbehandlung in unterschiedlichen Normen des SGB V (§ 28 einerseits und § 31 andererseits) ihre jeweilige Ausgestaltung erfahren haben.