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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht und Sozialgerichte : Thema: Gerichte & Justizbehörden

Sozialhilfe – Keine Kfz-Beihilfe für den Weg zum Kindergarten

Letzte Aktualisierung: 29.10.2019

Urteil LSG L 9 SO 175/18 B ER  (PDF, 310KB, Datei ist barrierefrei)

Kann ein behindertes Kind auch mit dem öffentlichen Bus oder einem Behindertenfahrdienst zum Kindergarten gebracht werden, besteht kein Anspruch auf eine Kfz-Beihilfe. Dabei sind längere Fahrzeiten und gewisse Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen. Von diesen Umständen sind nichtbehinderte Menschen, die sich kein eigenes Auto leisten können, ebenso betroffen.

DER FALL

Ein Junge, der aufgrund einer Trisomie 21 (Down-Syndrom) schwer behindert ist, soll mit 2 Jahren eine Kindertagesstätte (Kita) besuchen. Die Mutter sucht für ihn einen integrativen Kindergarten aus. Dort kommen auf 10 Kinder 4 Betreuungskräfte. Leider ist dieser Kindergarten etwas weiter entfernt. Mit dem Bus braucht die Mutter 22 Minuten zur Kita, einschließlich des Fußweges zur Bushaltestelle.

Die Mutter beantragt beim zuständigen Sozialhilfeträger eine Beihilfe zur Anschaffung eines Autos. Sie macht geltend, dass ihr Sohn auf die Fahrten mit dem eigenen Auto angewiesen sei, um die Kita zu besuchen und damit an der Gesellschaft teilzuhaben. Zum einen sei ihr Sohn besonders anfällig für Infekte und gegenüber Geräuschen. Daher könne er öffentliche Verkehrsmittel grundsätzlich nicht benutzen. Zum anderen sei ihr die lange Fahrtzeit mit dem Bus nicht zuzumuten, da sie selbst auch noch jeweils die Fahrt von der Kita zurück bzw. beim Abholen den Weg hin dazurechnen müsse.

Der Sozialhilfeträger lehnt den Antrag ab. Er hält die Fahrten mit dem Bus für zumutbar. Auch sei es möglich, dass der Junge einen Behindertenfahrdienst in Anspruch nehme.

Die Mutter wendet sich im Rahmen eines Eilverfahrens an das Sozialgericht Itzehoe.

DIE ENTSCHEIDUNG

Das Sozialgericht lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Anspruchsberechtigt für eine Kfz-Beihilfe sei grundsätzlich nur der Junge selbst. Daher komme es für die Zumutbarkeit nur auf seine Wegstrecke an und nicht auf die zusätzlichen Fahrtzeiten der Mutter. Auch könne es nicht nachvollzogen werden, warum der Junge wegen drohender Infekte oder seiner Schreckhaftigkeit bei Geräuschen keinen öffentlichen Bus benutzen können sollte. In der Kita selbst sei das Risiko von Infekten und lauten Geräuschen letztlich viel größer. Soweit der Junge eine spezielle behindertengerechte Karre benötige, seien die Busse grundsätzlich behindertengerecht ausgestattet und über eine Rampe gut zu befahren.

Das Landessozialgericht sah das genauso und wies die dagegen eingelegte Beschwerde der Mutter zurück. Es folgte den Ausführungen des Sozialgerichts und führte noch zusätzlich aus, dass es gerade für seine Eingliederung in die Gesellschaft wichtig sei, dass der Junge sich an die Geräusche und Schwierigkeiten des öffentlichen Verkehrs gewöhne. Letztlich könnten aus Sozialhilfemitteln auch nur die Nachteile einer Behinderung ausgeglichen werden. Grundsätzlich müssten aber auch nichtbehinderte Menschen, die sich kein Auto leisten könnten, mit längeren Fahrzeiten im öffentlichen Verkehr zurechtkommen.

DAS RECHT

Menschen mit Behinderung haben einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn sie wegen ihrer Behinderung nicht in gleicher Weise an der Gesellschaft teilhaben können wie nichtbehinderte Menschen. Im Normalfall ist davon aber nicht umfasst, dass sie Geld für die Anschaffung eines Autos bekommen. Eine Kfz-Beilhilfe setzt nach § 8 der Eingliederungshilfeverordnung voraus, dass der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Autos angewiesen ist. Normalerweise soll also durch die Kfz-Beihilfe vor allem der Weg zur Arbeit ermöglicht werden. Dazu haben die Gerichte ausgeführt, dass der Weg zur Kita mit dem Arbeitsweg grundsätzlich vergleichbar ist. Auch ist der Besuch einer Kita für die Eingliederung in die Gemeinschaft ebenso wichtig wie eine Arbeitsstätte.

Bei der Frage jedoch, ob jemand für den Weg zur Arbeit – oder eben zur Kita – tatsächlich auf ein eigenes Auto angewiesen ist, ist genau hinzuschauen. Grundsätzlich können behinderte Menschen ebenso wie nichtbehinderte öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch nehmen. Dabei sind für alle Menschen längere Fahrtzeiten und gewisse Unbequemlichkeiten normal. Nur wenn die Behinderung dazu führt, dass die Person deutlich mehr Einschränkungen hinzunehmen hätte als nichtbehinderte Menschen ohne eigenes Auto, kommt daher der Anspruch in Betracht. Ebenso, wenn die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel schlicht nicht möglich ist. Beides war aber hier nicht der Fall.

Das SG Itzehoe und das Landessozialgericht haben im Eilverfahren entschieden. Das Eilverfahren, hier der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, ist eine besondere Verfahrensart. Sie kann in Anspruch genommen werden, wenn den Betroffenen das Abwarten eines normalen Klageverfahren nicht zuzumuten ist, also besonders schnell entschieden werden muss. Dies ist aber nur der Fall, wenn dem Antragsteller nicht rückgängig zu machende schwere Nachteile durch die Laufzeit eines normalen Klageverfahrens drohen. Wenn die Angelegenheit gar nicht eilig ist, oder der Antragsteller sich erst einmal selbst helfen kann (z.B. genug Geld vorhanden ist, um das Auto zunächst auf eigene Kosten anzuschaffen), bleibt ein Eilantrag auch dann erfolglos, wenn in der Sache ein Anspruch besteht. Das Eilverfahren kann also nicht allgemein zur Beschleunigung des Verfahrens genutzt werden.

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