Urteil SG Kiel AZ: S 44 KR 39/15
(PDF, 383KB, Datei ist barrierefrei)
Wird ein*e Arbeitnehmer*in längerfristig krank, erhält sie von ihrer Krankenkasse Krankengeld. Erhält die Person während des Krankengeldbezuges kein Arbeitsentgelt mehr, bleibt ihr Anspruch auf Krankengeld nur bestehen, wenn sie die attestierte Arbeitsunfähigkeit lückenlos nachweist.
DER FALL
Eine 48-jährige Frau hat eine Arbeitsstelle und ist gesetzlich krankenversichert. Am 9. Januar 2014 wird sie krank und ist über längere Zeit arbeitsunfähig. Sie leidet an einer schweren Depression.
6 Wochen lang zahlt ihr der Arbeitgeber weiter Lohn. Danach erhält sie von ihrer Krankenkasse Krankengeld. Zum 31. Mai 2014 kündigt ihr der Arbeitgeber. Ab Juni ist sie arbeitslos.
Die Krankenkasse teilt der Frau mit, dass sie das Krankengeld weiter erhält, solange sie krankgeschrieben sei. Sie müsse die Krankschreibung aber lückenlos nachweisen, also immer spätestens am letzten Tag der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit zum Arzt gehen. Werde die Arbeitsunfähigkeit nicht am letzten Tag der Krankschreibung erneut attestiert, entfalle der Anspruch auf Krankengeld und ggf. auch der Versicherungsschutz.
Am 24. November 2014 endet wieder einmal ein Zeitraum, für den ihr ihr Arzt Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hatte. Sie vereinbart einen neuen Arzttermin. Dieser wird ihr für den 25. November angeboten, an dem dann auch die weitere Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird.
Die Krankenkasse zahlt das Krankengeld nur bis zum 24. November 2014. Am Ende dieses Tages sei der Anspruch auf Krankengeld beendet gewesen. Dadurch sei auch das Versicherungsverhältnis beendet gewesen, da dieses nach Ende des Arbeitsverhältnisses nur durch den Anspruch auf Krankengeld weiter bestanden habe. Auch wenn sie ab dem 25. November erneut krankgeschrieben worden sei, könne das Versicherungsverhältnis und damit der Anspruch auf Krankengeld nicht wieder aufleben.
Dagegen klagt der Kläger vor dem Sozialgericht Kiel. Sie macht geltend, dass sich ihre Arztpraxis vertan habe. Die Arzthelferin hatte aus Versehen den 25. November 2014 als Ende der Krankschreibung notiert und deshalb auch für diesen Tag den Termin vergeben. Sie selbst habe das nicht bemerkt. Sie habe sich wegen ihrer schweren Erkrankung auch um nichts kümmern können.
DIE ENTSCHEIDUNG
Das Sozialgericht wies die Klage ab. Der Krankengeldanspruch und damit das Versicherungsverhältnis bleibe nur bestehen, wenn die Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf des Krankengeldbewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt werde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien Ausnahmen hiervon nur in sehr engen Grenzen möglich. Zum Beispiel, wenn die Krankenkasse letztlich die verspätete Krankschreibung zu verantworten habe oder der Versicherte geschäfts- oder handlungsunfähig sei. Ein solcher Ausnahmefall liege hier aber nicht vor.
DAS RECHT
Wird ein*e Arbeitnehmer*in krank, zahlt zunächst der Arbeitgeber den Lohn weiter. Allerdings nur 6 Wochen lang. Danach besteht ein Anspruch auf Krankengeld gegenüber der Krankenkasse. Das Krankengeld kann wegen derselben Krankheit bis zu eineinhalb Jahre (78 Wochen) innerhalb eines Zeitraums von 3 Jahren gezahlt werden.
Voraussetzung für das Krankengeld ist, dass die Person arbeitsunfähig erkrankt ist. Dies allein reicht aber noch nicht. Die Arbeitsunfähigkeit muss auch ärztlich attestiert sein.
Probleme treten oft dadurch auf, dass sich in dem Moment, in dem kein Anspruch mehr auf Arbeitsentgelt besteht, also wenn die Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers abgelaufen ist oder wenn das Beschäftigungsverhältnis sogar ganz geendet hat, das Versicherungsverhältnis bei der Krankenkasse verändert. Der Betroffene bekommt davon im Regelfall gar nichts mit, da er ganz normal weiter medizinische Leistungen in Anspruch nehmen kann. Für das Krankengeld ist diese Änderung allerdings bedeutsam, denn wer keinen Anspruch mehr auf Arbeitsentgelt hat, hat grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Krankengeld.
Allerdings besteht während des fortlaufenden Bezugs von Krankengeld das alte Versicherungsverhältnis mit Krankengeldanspruch fort. Der Krankengeldanspruch selbst hängt also daran, dass fortlaufend Krankengeld bezogen wird. Kommt es dann aber zu einer Lücke beim Anspruch auf Krankengeld – und sei es nur für eine gedachte Sekunde – rutschen diese Personen in ein Versicherungsverhältnis ohne Krankengeldanspruch und können dann kein Krankengeld mehr erhalten, auch wenn sie durchgehend krank waren und die 78 Wochen noch nicht abgelaufen sind. Daher ist in diesen Fällen die lückenlose Attestierung der Arbeitsunfähigkeit Voraussetzung für die weitere Krankengeldzahlung. Für das Krankengeld kann dabei die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes keine Rückwirkung entfalten, maßgeblich ist allein der Tag des Arztbesuches, also das Ausstellungsdatum selbst. Auch wenn der Arzt z.B. für ein oder zwei Tage rückwirkend eine weiter bestehende und ggf. auch medizinisch völlig eindeutige Arbeitsunfähigkeit auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angibt, gilt nicht der rückwirkend notierte Tag. Es hätte der Klägerin also nicht geholfen, wenn der Arzt beim Termin am 25. November 2014 auf der Bescheinigung notiert hätte, dass die Arbeitsunfähigkeit weiter ab 24. November 2014 besteht.
Nach der bis Juli 2015 geltenden Rechtslage war in den Fällen, in denen die Arbeitsunfähigkeit jeweils abschnittsweise durch den Arzt festgestellt wird, die Frage, wann die neue Krankschreibung vorliegen muss, nicht gesetzlich geregelt. Das Bundessozialgericht hat hierzu festgestellt, dass die Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf des Krankengeldbewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt werden muss, damit ein fortlaufender Krankengeldanspruch bestehen bleibt.
Aus diesem Grund war im vorliegenden Fall der Anspruch der Klägerin auf die weitere Zahlung des Krankengeldes allein dadurch entfallen, dass sie erst einen Tag nach dem letzten Tag der Krankschreibung zum Arzt ging. Darauf, dass der Fehler letztlich auf einem Versehen der Arzthelferin bei der Terminvergabe beruhte, kam es nicht an. Die Klägerin hätte die Daten trotz ihrer Krankheit selbst überprüfen müssen bzw. musste sich den Fehler ihrer Arztpraxis zurechnen lassen.
Seit Juli 2015 ist die gesetzliche Regelung etwas abgemildert. Seitdem reicht es, wenn die neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am ersten Werktag nach dem Ende der bislang attestierten Zeit ausgestellt wird.
Auch das Bundessozialgericht hat inzwischen noch weitere Ausnahmefälle anerkannt. So kann nach einer Entscheidung im Mai 2017 der Anspruch auf Krankengeld auch dann fortbestehen, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende getan hat, um seine Ansprüche zu sichern, es rechtzeitig zu einem Arzt-Patienten-Kontakt gekommen ist und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund einer Fehlentscheidung des Arztes nicht rechtzeitig ausgestellt wurde.
Seit Mai 2019 hat der Gesetzgeber eine weitere erhebliche Erleichterung für die betroffenen Versicherten eingeführt. Für die Personen, in denen nur der Krankengeldbezug zu einem Fortbestehen des Versicherungsverhältnisses führt (wie hier), bleibt das Versicherungsverhältnis weiter bestehen, wenn innerhalb eines Monats die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird. Fälle wie der hier geschilderte Streitfall, die sehr häufig bei den Sozialgerichten vorkamen, wird es daher zukünftig nur noch vereinzelt geben.