Navigation und Service

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht und Sozialgerichte : Thema: Gerichte & Justizbehörden

Von ambulanten Pflegediensten beschäftigte Honorar-Pflegekräfte stehen in der Regel in einem Beschäftigungsverhältnis zu dem Pflegedienst, so dass für sie eine Versicherungspflicht in den beitragspflichtigen Zweigen der Sozialversicherung besteht

Letzte Aktualisierung: 17.12.2020

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. August 2020, L 5 KR 72/1 (PDF, 430KB, Datei ist barrierefrei)

Das in Deutschland bestehende Sozialversicherungssystem ist überwiegend beitragsfinanziert. Das gilt nach §§ 3, 220 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV), nach § 54 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) für die gesetzliche („soziale“) Pflegeversicherung (PV), nach § 153 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für die gesetzliche Rentenversicherung (RV) und nach § 340 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Arbeitslosenversicherung (AV) Die gesetzliche Unfallversicherung wird hingegen im Umlageverfahren finanziert, wobei die Mittel dazu ebenfalls durch Beitragserhebung ausschließlich gegenüber den Unternehmern generiert werden (vgl. § 152 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch). In der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sind die Beiträge für beschäftigte Arbeitnehmer grundsätzlich paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufzubringen (s. für die gesetzliche Krankenversicherung: § 249 Abs. 1 Satz 1 SGB V; für die soziale Pflegeversicherung: § 58 Abs. 1 SGB XI; für die gesetzliche Rentenversicherung: § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI; für die Arbeitslosenversicherung bzw. das Recht der Arbeitsförderung: § 346 SGB III). Die Beiträge in den vorstehend aufgeführten Zweigen der Sozialversicherung werden zusammen als sogenannter Gesamtsozialversicherungsbeitrag von den Krankenkassen als gesetzliche Einzugsstellen erhoben. Zentraler Anknüpfungspunkt für die Beitragspflicht ist die (entgeltliche) Beschäftigung, die im Grundsatz zu einer Versicherungspflicht des Beschäftigten in den genannten Versicherungszweigen führt. Maßgeblich für die Beitragshöhe ist das  Arbeitsentgelt, aus dem die fälligen Sozialversicherungsbeiträge errechnet werden. Um also feststellen zu können, für welchen Werktätigen Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen sind (und für welchen nicht), kommt es maßgeblich darauf an, ob eine werktätige Person in einem Beschäftigungsverhältnis zu ihrem Auftrag- bzw. Arbeitgeber steht. Im Grundsatz können Erwerbstätigkeiten nicht nur im Rahmen einer Beschäftigung ausgeübt werden, sondern auch im Rahmen eines freien Auftragsverhältnisses, bei dem der Auftragnehmer seine Leistung als Selbständiger erbringt und für den dann keine Sozialversicherungspflicht besteht. Für Auftraggeber mag es daher in manchen Fällen auf den ersten Blick attraktiv erscheinen, benötigte (Dienst-) Leistungen durch einen freiberuflich Selbständigen erbringen zu lassen, weil dafür Sozialversicherungsbeiträge nicht anfallen (und die Versteuerung der gezahlten Vergütung von dem/der Selbständigen selbst vorzunehmen ist). Dabei ist indes Vorsicht geboten. Denn stellt sich im Nachhinein heraus, dass der Auftragnehmer tatsächlich in einem Beschäftigungsverhältnis stand, sind Sozialversicherungsbeiträge und meist auch Säumniszuschläge nach § 24 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nachzuzahlen – im Falle vorsätzlicher Beitragsvorenthaltung steht zudem eine Bestrafung nach § 266a Strafgesetzbuch zu erwarten. Wann ein Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne vorliegt (und wann nicht), ist im Gesetz nur ganz grundsätzlich anhand zweier dort genannter Merkmale („Tätigkeit nach Weisungen“ und „Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“) definiert. Letztlich erfordert die Abgrenzung einer Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit deshalb immer eine auf die konkrete Tätigkeit bezogene Abwägungsentscheidung des Rentenversicherungsträgers oder der Krankenkasse, die sich an der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu orientieren hat. Ist der Auftraggeber oder der Auftragnehmer mit dem Ergebnis einer solchen Abwägungsentscheidung nicht einverstanden, steht ihm letztlich der Weg zu den Sozialgerichten offen, die die Entscheidung sodann auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu kontrollieren haben.

Der Fall

Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin – eine zuvor in einem Pflegeheim angestellte Pflegefachkraft – ein eigenständiges Unternehmen zur Erbringung ambulanter Pflegeleistungen für Kunden ambulanter Pflegedienste gegründet. Der Unternehmenszweck sollte darin bestehen, den Pflegediensten für Zeiten von Personalengpässen zur Verfügung zu stehen – also immer dann, wenn die Pflegedienste ihre den Pflegebedürftigen geschuldeten Leistungen mit dem „Stammpersonal“, mithin den bei dem Pflegedienst als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fest bzw. dauerhaft angestellten Pflegekräften, aufgrund von kurzfristigen Ausfällen dieser Kräfte nicht mehr erbringen konnten. Zu diesem Zweck betrieb die Klägerin Werbung für ihr Unternehmen und schloss mit verschiedenen Pflegediensten Aufträge/Verträge über bestimmte Pflegeleistungen für bestimmte Kunden dieser Pflegedienste an bestimmten Tagen ab. Ihre Leistungen stellte die Klägerin den auftraggebenden Pflegediensten nach zuvor von ihr aufgerufenen Stundensätzen (in Höhe von 26,50 EUR bis zu 28,50 EUR) in Rechnung. Die vereinnahmte Vergütung versteuerte die Klägerin als Einkommen aus selbständiger Tätigkeit. Die Klägerin hatte sich die Arbeitsutensilien zur Durchführung ihrer Pflegeeinsätze selbst beschafft, ferner auch einen neuen PKW erworben, um die Fahrten zu den Wohnungen der Pflegebedürftigen durchzuführen, und eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen, um sich gegen Regressforderungen aufgrund von ihr eventuell in Ausübung ihrer Pflegetätigkeit verursachter Schäden abzusichern. Nachdem sie diese Tätigkeit einige Monate hindurch ausgeübt hatte, stellte die Klägerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) einen Antrag auf sozialversicherungsrechtliche Prüfung und die Feststellung, dass sie ihre Tätigkeit nicht im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen für ihre auftraggebenden Pflegedienste erbringe. Der Rentenversicherungsträger entschied jedoch in mehreren Bescheiden, die sich auf die jeweiligen Vertragsverhältnisse der Klägerin mit unterschiedlichen Pflegediensten bezogen, dass die Klägerin ihre ambulante Pflegetätigkeit als (abhängige) Beschäftigung erbringe und sie deshalb der Sozialversicherungspflicht unterliege. Sie sei, indem sie bei Bedarf die Betreuung der pflegebedürftigen Kunden der Pflegedienste gemäß der von den Pflegediensten mit diesen Kunden geschlossenen Verträge übernehme, funktionsgerecht in die Arbeitsorganisation der Pflegedienste eingegliedert. Sie unterliege auch einem Weisungsrecht der Pflegedienste im Hinblick auf Zeit und Ort der Tätigkeitserbringung. Auch den konkreten Inhalt ihrer Pflegetätigkeit könne die Klägerin nicht frei bestimmen, weil sich dieser nach der konkreten Pflege- bzw. Gesundheitssituation der Pflegebedürftigen richte. Gegen einen dieser Bescheide erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht und war damit erfolgreich. Das Sozialgericht hob die angefochtene Entscheidung der beklagten DRV Bund auf, weil die Klägerin ihre Tätigkeit für den in dem angegriffenen Bescheid benannten Pflegedienst tatsächlich als selbständige Honorar-Pflegekraft erbracht habe. Die Klägerin sei nicht in den Betrieb des Pflegedienstes eingegliedert gewesen, sondern habe ihre Pflegeleistungen in den Wohnungen der Pflegebedürftigen weisungsfrei und eigenverantwortlich erbracht. Zudem habe die Klägerin ein typisches unternehmerisches Risiko getragen, weil sie nie habe sicher sein können, Folgeaufträge (in ausreichender Zahl) zu akquirieren, gleichwohl aber ihre betrieblichen Fixkosten habe bedienen müssen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung erhoben.

Die Entscheidung

Die Berufung der DRV Bund war erfolgreich. Das Landessozialgericht hat die den sozialversicherungsrechtlichen Status der Klägerin betreffende Feststellungsentscheidung der Beklagten als rechtmäßig angesehen und das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben; die Klägerin sei bei dem ambulanten Pflegedienst abhängig beschäftigt gewesen und daher nicht selbständig tätig geworden. Aus den gesetzlichen Bestimmungen über die Tätigkeit von Pflegediensten bzw. den in den gesetzlichen Bestimmungen enthaltenen regulatorischen Vorgaben für ambulante Pflegedienste lasse sich erkennen, dass der Pflegedienst – konkret: die dort tätige verantwortliche Pflegefachkraft – einen maßgeblichen Einfluss auf die Tätigkeit aller eingesetzten Pflegekräfte ausüben könne, mithin auch auf die von auf Honorarbasis als vermeintlich Selbständige beauftragten Kräften ausgeübte Tätigkeit – und deshalb auch auf die von der Klägerin erbrachten Pflegeleistungen. Diese (engmaschigen) regulatorischen Vorgaben resultierten insbesondere aus dem gesetzlichen Versorgungsauftrag (§ 69 SGB XI), den Anforderungen für die Anerkennung als zur Wahrnehmung der Pflegeverantwortung im Sinne des § 71 Abs. 1 SGB XI befugten verantwortlichen Pflegefachkraft (§ 71 Abs. 3 SGB XI), den Voraussetzungen für den Abschluss eines Versorgungsvertrages (§ 72 Abs. 3 SGB XI) und den Maßstäben und Grundsätzen zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität (§ 113 f. SGB XI). Aus diesen regulatorischen Rahmenbedingungen folge in der Regel die Eingliederung von Honorar-Pflegefachkräften in die Organisations- und Weisungsstruktur von ambulanten Pflegediensten. Denn die Rahmenbedingungen prägten die gelebte Vertragspraxis der Parteien des Auftragsverhältnisses in einer derart umfassenden Weise, dass andere – vertragliche oder tatsächliche – Umstände, unter denen die Tätigkeit ausgeübt werde, kaum einmal dazu geeignet sein könnten, die regulatorischen Vorgaben im Rahmen der statusrechtlichen Abwägungsentscheidung zu überwiegen. Dies könne nur in Ausnahmefällen angenommen werden, in denen den für eine selbständige Tätigkeit sprechenden Indizien ein ganz besonderes Gewicht zukomme. Ein solcher Fall sei der vorliegende jedoch nicht. Insbesondere könne ein unternehmerisches Risiko unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Hinblick auf die Abhängigkeit der klägerischen Tätigkeit vom Erfolg der Akquise weiterer Aufträge von Pflegediensten nicht bejaht werden. Denn danach sei allein auf das konkrete, tatsächlich vollzogene Auftragsverhältnis abzustellen, ohne dass weitere, hypothetisch in der Zukunft ggf. einmal zu begründende Auftragsverhältnisse – oder auch nur die für die Klägerin gegebene Gefahr, dass solche Auftragsverhältnisse etwa nicht begründet werden könnten – in die Betrachtung einfließen dürften.

Das Recht

Der Begriff der Beschäftigung, an den die Versicherungspflicht in der GKV (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), in der PV (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI), in der RV (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) und in der AV (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III) anknüpft, ist in § 7 Abs. 1 SGB IV wie folgt umrissen: „Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ Diese sehr offen gehaltenen gesetzlichen Kriterien sind in einer jahrzehntelangen Rechtsprechung weiter ausdifferenziert worden. Danach ist Ausgangspunkt der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Die tatsächlichen Verhältnisse geben den Ausschlag, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses erfordert nach der Rechtsprechung des BSG, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Auch wenn der Auftraggeber im Hinblick auf die konkrete Gestaltung der Tätigkeit keine bestimmten (Einzel-) Anweisungen erteilt, werden – gerade auch höhere – Dienste gleichwohl im Rahmen abhängiger Beschäftigung geleistet, wenn sie fremdbestimmt bleiben und in einer von der anderen Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebs aufgehen. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit sowie das Unternehmerrisiko gekennzeichnet. Da auch bei Anwendung dieser höchstrichterlich herausgearbeiteten Kriterien eine Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zur Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV einerseits oder aber – andererseits – zu den selbständig ausgeübten, nicht sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten nicht ohne weiteres möglich ist, ist im Jahr 1999 mit § 7a SGB IV ein Anfrageverfahren geschaffen worden, bei dem die Beteiligten eines Vertragsverhältnisses bei der insoweit ausschließlich zuständigen DRV Bund die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status („beschäftigt“ oder „selbständig“) beantragen können, um möglichst frühzeitig Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen von Versicherungspflicht in der Sozialversicherung zu erlangen. Einen entsprechenden Antrag hatte auch die Klägerin im vorliegenden Fall gestellt.

Das Landessozialgericht hat bei seiner Entscheidung vom 26. August 2020 maßgeblich auf ein aktuelles Urteil des BSG vom 7. Juni 2019 zum Aktenzeichen B 12 R 6/18 R abgestellt, das den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Honorarpflegekraft zum Gegenstand hatte, die – anders als die Klägerin im vorliegenden Fall – in einem Pflegeheim tätig geworden war. In seinem Urteil vom 7. Juni 2019 hat das BSG folgende Leitsätze aufgestellt:

  1. Der Versorgungsauftrag einer stationären Pflegeeinrichtung sowie die Regelungen über die Erbringung stationärer Pflegeleistungen nach dem SGB XI und dem Heimrecht haben keine zwingende übergeordnete Wirkung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Status von in stationären Pflegeeinrichtungen tätigen Pflegefachkräften, sind jedoch bei der Gewichtung der Indizien zur Statusbeurteilung zu berücksichtigen.
  2. Da diese regulatorischen Rahmenbedingungen im Regelfall die Eingliederung von Pflegefachkräften in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung mit sich bringen, müssen für die nur ausnahmsweise in Betracht kommende selbstständige Tätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn gewichtige Indizien bestehen.

Diese Rechtsprechung hat das Landessozialgericht auf die Tätigkeit der im ambulanten Pflegebereich tätigen Klägerin übertragen, weil für ambulante Pflegedienste im Wesentlichen die gleichen Qualitätsanforderungen wie für stationäre Einrichtungen gelten. Da das BSG zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Honorarpflegekräften, die für ambulante Pflegedienste tätig sind, noch keine Entscheidung getroffen hat, hat das Landessozialgericht die Revision zugelassen. Dadurch besteht für die Klägerin die Möglichkeit, das Urteil des Landessozialgerichts vom 26. August 2020 durch das BSG überprüfen zu lassen.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link:

Datenschutz

Presse