Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie förderte im Programm "Schaufenster intelligente Energie - Digitale Agenda für die Energiewende" (SINTEG) fünf großflächige Modellregionen, sogenannte Schaufenster, in denen Musterlösungen für die zukünftige Energieversorgung erarbeitet und getestet wurden.
Schwerpunkt war die Digitalisierung des Energiebereichs. Im Zentrum standen hier die intelligente Vernetzung von Stromerzeugung und -verbrauch sowie der Einsatz innovativer Netztechnologien und Konzepte.
Schleswig-Holstein und Hamburg waren gemeinsam mit mehr als 60 Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik an dem Projekt Norddeutsche Energiewende 4.0 (NEW 4.0) beteiligt. Das Ziel von NEW 4.0 war es zu zeigen, wie die Gesamtregion mit 4,5 Millionen Einwohnern bereits 2035 zu 100 Prozent mit regenerativem Strom versorgt werden kann – sicher, zuverlässig, gesellschaftlich akzeptiert und mit deutlichen CO2-Einsparungen.
Exkurs: Umstieg auf Erneuerbare Energien/Energiewende
Ziel des gesamten Stromsystems ist es, die Netzfrequenz bei 50 Hertz zu halten. Mit den bisherigen fossilen Energieträgern war das einfach: Es wurde so viel Strom produziert, wie benötigt wurde. War die Netzfrequenz zu niedrig, wurde mehr produziert (sog. positive Regelleistung) und andersherum (negative Regelleistung). Mit Strom aus erneuerbaren Quellen ist es schwieriger, da sie wetterabhängig sind und nicht auf Knopfdruck mehr Strom produzieren können. Damit auch mit dem kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien die Netzfrequenz stabil gehalten werden kann, sind zwei Punkte entscheidend:
Speichermöglichkeiten, um überschüssige Energie zu speichern und damit wind- und sonnenarme Phasen zu überbrücken.
Anpassung des Verbraucherverhalten: Unternehmen sollen zum Beispiel dann ihre Produktion hochfahren, wenn viel Strom vorhanden ist (sog. Flexibilitäten).
Für das Gelingen der Energiewende ist darüber hinaus die sog. Sektorkopplung ein zentraler Baustein. (vgl. auch Kernergebnis Nr. 5).
Praktische Erprobungen
Sowohl unter dem Dach von NEW 4.0 als auch darüber hinaus entstanden in Schleswig-Holstein zahlreiche Projekte in den Bereichen Flexibilitäten und Sektorkopplung, z.B. flexible bzw. virtuelle Kraftwerke und Speicher, Elektrolyseure zur Erzeugung von Wasserstoff, Batteriespeicher und Power-to-Heat-Konzepte. In praktischen Feldtests wurden die verschiedenen Fragestellungen sowohl separat als auch und in ihrem Zusammenwirken real und online erprobt. Durch das Zusammenspiel der Technologien konnte z.B. sowohl positive als auch negative Regelleistung sicher und systemdienlich generiert und die notwendigen Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen Betrieb aufgezeigt werden.
Projektabschluss
Nach mehr als vier Jahren ging der Praxisgroßtest NEW 4.0 mit einer Abschlusskonferenz am 24.3.2021 erfolgreich zu Ende. Wegbegleiter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft würdigten die Leistungen und Erkenntnisse, die aus dem Großprojekt hervorgegangen sind.
Mit 100 Projekten und 25 Demonstratoren (technische Anlagen wie z.B. Batteriespeicher, die Lösungen veranschaulichen) konnten 60 Partner zeigen, wie eine nachhaltige Energieversorgung realisiert und die Zukunftsfähigkeit der Region gestärkt werden kann. Zentrales Ziel war es, einen Pfad zu entwickeln, um Hamburg und Schleswig-Holstein bis 2035 sicher zu 100 Prozent mit erneuerbarem Strom zu versorgen und damit massiv CO2-Emissionen zu senken.
Sieben Kernergebnisse
Die erzielten Erkenntnisse lassen sich in sieben Kernergebnissen zusammenfassen:
list
1. Die (integrierte) Energiewende ist machbar
In verschieden Projekten hat NEW 4.0 in Feldversuchen nachgewiesen, wie Schwankungen bei der Erzeugung und beim Verbrauch von Strom ausgeglichen werden können. Bedeutend für diese notwendige Stabilität der Stromnetze ist eine intelligente Steuerung der industriellen und privaten Stromverbräuche sowie der Speicher.
2. Die (industrielle) Stromnachfrage bietet wichtige Flexibilitätspotenziale
Die NEW 4.0-Partner aus der energieintensiven Metallindustrie haben technische Lösungen entwickelt, wie sie die Stromaufnahme ohne Einschränkungen für die Produktionsprozesse flexibel gestalten können. Auch Haushalte bieten große Flexibilitätspotenziale beim Stromverbrauch. In der Modellregion könnten dadurch mehrere Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
3. Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) ist entscheidend für die Integration erneuerbarer Energien in das Energiesystem
Digitalisierung ist die Schlüsseltechnologie für das intelligente Zusammenwirken aller Komponenten einer funktionierenden Energiewende. Projektpartner in NEW 4.0 haben vielfältige IKT-Anwendungen entwickelt und in der Praxis erprobt, wie beispielsweise Lösungen für prognosetechnische Netzengpässe, Blockchain-Technologie und Echtzeitkommunikation, künstliche Intelligenz sowie Systeme für sichere IT.
4. Schnelle und marktbasierte Verfahren ermöglichen effiziente Koordination von Flexibilitäten
NEW 4.0 hat Verfahren entwickelt, die eine intelligente, schnelle und vor allem systemdienliche Koordination des Stromverbrauchs ermöglichen. Mit ENKO von Schleswig-Holstein Netz/ARGE Netz hat NEW 4.0 beispielsweise eine Plattform für ein Engpass-Management und einen digitalen Marktplatz für Flexibilitäts-Anbieter geschaffen. Dadurch sind nun z.B. präzise Prognosen sich anbahnender Netzengpässe für ganz Schleswig-Holstein möglich. und Unternehmen können angeben, wann sie mehr Strom als üblich benötigen. Damit können im Ergebnis volkswirtschaftlich und ökologisch wertschaffend, die Abregelung Erneuerbarer Energien-Anlagen reduziert werden.
5. Mehrfacher Klimanutzen wird durch Sektorkopplung möglich
Auf dem Weg zur Klimaneutralität müssen weitere Energiebereiche wie Industrie, Wärme, Kälte und Verkehr mit in die Energiewende einbezogen werden. Grüner Strom muss auch für andere Sektoren wie z. B. Wärme genutzt werden, um fossile Energien wie Öl, Gas oder Kraftstoffe zu ersetzen. Mit Power-to-Heat- und Elektrolyseanlagen demonstrierte NEW 4.0, wie die Umwandlung von Strom in Wasserstoff und damit der Brückenschlag zur Dekarbonisierung der o.g. Sektoren gelingen kann.
6. Eine Fortbildungsoffensive ist für eine erfolgreiche Energiewende notwendig
NEW 4.0 hat gezeigt, dass für eine nachhaltige Wertschöpfung in der Modellregion qualifizierte Mitarbeitende grundlegend für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende sind. Um diesem Fachkräftebedarf gerecht zu werden, wurde die NEW 4.0-Akademie gestartet und soll weiter ausgebaut werden.
7. Die Machbarkeit der Energiewende zu demonstrieren steigert die Akzeptanz
Die Transformation des Energiesystems wird nur gelingen, wenn sie von nachhaltiger Akzeptanz getragen wird. Nach den Untersuchungen von NEW 4.0 steht die norddeutsche Bevölkerung der Energiewende ausgesprochen positiv gegenüber. Das gilt es weiter auszubauen. Mit einer Roadshow an mehr als 50 Standorten wurde Bürgerinnen und Bürger vor Ort die Faszination und Machbarkeit der Energiewende vermittelt.
Norddeutsches Reallabor
Das Norddeutsche Reallabor (NRL) will neue Wege zur Klimaneutralität aufzeigen: Mit dem länderübergreifendem Verbundprojekt soll die ganzheitliche Transformation des Energiesystems erprobt und so der Weg zu einer schnellen Defossilisierung aller Verbrauchssektoren demonstriert werden.
In der Modellregion in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern werden dazu verschiedenen Transformationspfade einer integrierten Sektorkopplung in einem starken Partnerverbund aus Energiewirtschaft, Industrie, Wissenschaft und Politik gemeinsam erprobt. Das NRL baut auf den Erfahrungen, Lösungen und Kompetenzen sowie dem Systemverständnis des Vorgängerprojekts NEW 4.0 auf.
Mit seinen rund 20 Teilvorhaben will das NRL zeigen, wie eine schnelle Defossilisierung in der Region erreicht und gleichzeitig volkswirtschaftliche Chancen genutzt werden können. So kann der Norden zum Innovationszentrum für die industrielle Transformation und wirksamen Klimaschutz werden. Durch den Aufbau von Referenzanlagen im industriellen Maßstab werden im NRL nachhaltige Innovationen auf dem Feld der Sektorkopplung ausgelöst und wichtige Impulse für den Hochlauf einer regionalen Wasserstoffwirtschaft gesetzt. Hierdurch soll die Entwicklung von Zukunftsmärkten stimuliert und die Wettbewerbsfähigkeit der ansässigen Unternehmen durch klimafreundliche Technologien gestärkt werden. Insbesondere zielt das Projekt darauf, den zügigen Markthochlauf von grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien voranzutreiben und entsprechende Wertschöpfungsketten zu etablieren.
Im NRL wird die Energiewende konkret: So wird beispielsweise gezeigt, dass grüner Wasserstoff genutzt werden kann, um Raffinerieprozesse oder die Kupferherstellung zu defossilisieren und damit CO2 einzusparen. Für das Vorantreiben der Wärmewende erschließen die Partner zudem die Abwärmenutzung einer Müllverbrennungs- sowie einer Industrieanlage. Um den Verkehrssektor systemisch einzubinden, sollen Brennstoffzellen-Fahrzeuge in verschiedenen Nutzungsszenarien erprobt werden. Mit den geplanten Vorhaben des Norddeutschen Reallabors können bis zu 350.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr eingespart werden.
Der gesamtsystemische Ansatz des NRL und die enge Zusammenarbeit der Partner in neun thematischen Arbeitsgruppen verbinden alle Vorhaben. Eine Besonderheit des Projekts ist sein Rundum-Blick auf die Energiewende: Neben den geplanten Erprobungsvorhaben zur CO2-Reduktion befassen sich die Wissenschaftspartner des NRL mit der volkswirtschaftlichen und der gesellschaftlichen Dimension des geplanten Transformationspfades hin zur Klimaneutralität. Das NRL versteht sich als ausbaufähige Plattform auch für weitere Projekte.
Das Großprojekt hatte ursprünglich eine Laufzeit von fünf Jahren (04/2021-03/2026), wurde aber kürzlich um ein Jahr bis 03/2027 verlängert. Das NRL ist Teil der Förderinitiative „Reallabore der Energiewende“ und wird mit rund 52 Mio. Euro durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Rahmen des 7. Energieforschungsprogramms gefördert. Weitere Fördermittel werden durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) bereitgestellt. Inklusive dieser Fördermittel beträgt das Investitionsvolumen der beteiligten Partner ca. 400 Mio. €.
Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: