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Ministerium für Energie­wende, Klimaschutz, Umwelt und Natur : Thema: Ministerien & Behörden

Tobias Goldschmidt

Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur

Nationales Zwischenlagerkonzept als Reaktion auf das OVG-Urteil zum Standortzwischenlager Brunsbüttel

Mündlicher Bericht des Ministers für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, Dr. Robert Habeck - Schleswig-Holsteinischer Landtag, Freitag, 23. Januar 2015

Es gilt das gesprochene Wort

Letzte Aktualisierung: 23.01.2015

"Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

Mit der Novellierung des Atomgesetzes im April 2002 wurde festgelegt, dass der wärmeentwickelnde Atommüll nicht mehr in das nationale Zwischenlager Gorleben verbracht wird, sondern an den Standorten der Atomkraftwerke dezentral zwischengelagert wird. Bis 2003 hat das Bundesamt für Strahlenschutz zwölf Standortzwischenlager genehmigt. Nach einer Bauzeit von circa drei Jahren wurden die Standortzwischenlager bis 2007 in Betrieb genommen.

Die Standortzwischenlager wurden für 40 Jahre ab dem Zeitpunkt der Einlagerung eines ersten Behälters genehmigt. Gegen viele Genehmigungen haben benachbarte Anwohner geklagt, aus Angst vor mangelnder Sicherheit, aber auch, um den Atomausstieg zu erzwingen. Die meisten Klagen wurden irgendwann zurückgezogen oder abgewiesen. Nicht jedoch die gegen das Zwischenlager Brunsbüttel. Am 19.6.2013 gab das OVG Schleswig dem Kläger Recht und urteilte, dass die zuständige Genehmigungsbehörde, das Bundesamt für Strahlenschutz, nicht in hinreichendem Umfang ermittelt habe, ob das Zwischenlager gegen panzerbrechende Waffen der neuesten Generation oder gezielte Abstürze des A 380, den es bei der Errichtung des Lagers ja noch gar nicht gab, ausreichend geschützt ist. Es ist mir hier wichtig zu betonen, dass das Gericht nicht gesagt hat, dass das Zwischenlager unsicher ist, sondern es hat gesagt, dass die Sicherheit nicht ausreichend nachgewiesen ist. Gegen dieses Urteil wurde keine Revision zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision legten die Betreiberin des Zwischenlagers Brunsbüttel und das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) Beschwerde ein. Vergebens wie wir seit letztem Freitag wissen.

Denn am 8.1.2015, also mehr als elf Jahre nach dem Verfahren zur Genehmigung, hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden der Betreiberin und des Bundesamtes für Strahlenschutz, eine Revision gegen das Urteil des OVG zuzulassen, zurückgewiesen. Der Beschluss ist beim BfS/Bundesumweltministerium am 16.1. eingegangen. Gegen Mittag (12.10 Uhr) wurde ich telefonisch von Staatssekretär Flassbarth über den Eingang des Beschlusses informiert. Eine halbe Stunde später folgte eine Telefonkonferenz mit dem Leitungsbereich des Bundesumweltministeriums. Im Anschluss erarbeitete die Atomaufsicht im Energiewendeministerium eine Anordnung zur vorübergehenden Wahrung der Sicherheit und ich informierte den Ministerpräsidenten und telefonierte mit der Bundesumweltministerin.

Mit der Zurückweisung der Beschwerde ist das Urteil des OVG Schleswig nun rechtskräftig. Das Standortzwischenlager Brunsbüttel hat damit seine Zulassung verloren. In dem Zwischenlager, das einmal für 80 Castoren errichtet wurde, befinden sich derzeit neun Castoren. Diese neun Castoren dürfen nicht in einem ungenehmigten Zwischenlager verbleiben. Sie dürfen allerdings auch nicht einfach in Brunsbüttel auf den Parkplatz gestellt werden. Das ist eines der vielen atompolitischen Dilemmata. Um die höchst mögliche Sicherheit zu gewährleisten, die Bewachung und den Betrieb der Anlage bis zur Wiedererlangung einer rechtsgültigen Genehmigung zu ermöglichen, hat die Atomaufsicht im MELUR folglich ebenfalls am 16.1. um 15.30 Uhr eine atomrechtliche Anordnung erlassen. Sie legt fest, dass die Aufbewahrung der neun Castoren vorübergehend geduldet wird, aber spätestens bis Januar 2018 wieder für eine genehmigte Aufbewahrung der im Lager befindlichen Castor-Behälter Sorge getragen werden muss. Das ist ein ehrgeiziger Zeitrahmen, aber kein unmöglicher.

Die Konsequenzen, die sich aus dieser Entscheidung ergeben, stellen - soweit ich sehe - ein völliges Novum in der Geschichte der deutschen Atompolitik dar. Eine Anordnung, die dem Buchstaben des Urteils scheinbar widerspricht, mag anstößig erscheinen. In Wahrheit aber ist sie die Voraussetzung dafür, dass das Urteil des OVG umgesetzt wird. Die Umsetzung darf aber nicht zu regellosen Verhältnissen, womöglich zu einem rechtsfreien und damit überwachungsfreien Raum führen. Genau dies wäre aber geschehen, wenn die Atomaufsicht nicht entsprechend gehandelt hätte.

So schwierig die atomrechtlichen Konsequenzen sind, so sehr begrüße ich das Urteil und dessen Bestätigung politisch. Der Bund hat im Kern argumentiert, im Gerichtsverfahren nicht alle Unterlagen über die durchgeführten Prüfungen vorlegen zu dürfen, weil sie teilweise dem Geheimschutz unterliegen. Das ist nachzuvollziehen. Man darf Terroristen selbstverständlich keine Anschlagsanleitung liefern. Andererseits ist die unterschwellige Botschaft des OVG-Urteils gerade, dass atompolitische Sicherheit, die ja wie Sicherheit generell immer nur relativ ist, nicht im Verborgenen und Geheimen diskutiert werden darf. Und das kann man als Prinzip, als Grundsatz, als Leitsatz nur begrüßen und - wenn ich an meine Arbeit in der Endlagersuchkommission denke - mit maximal möglicher Transparenz beantworten.

In den nun als Frist gesetzten drei Jahren muss Vattenfall wieder eine genehmigte Aufbewahrungssituation herbeiführen. Dafür kommen verschiedene Wege in Betracht. Denkbar ist es natürlich, die jetzt für rechtswidrig erklärte Genehmigung schlicht durch eine neue zu ersetzen. Dafür müsste die Betreiberin einen neuen Antrag zur sicheren Aufbewahrung stellen und das BfS muss ihn genehmigen, damit wir dort einen rechtmäßigen Zustand haben. Dieser neue Antrag wird die Kriterien des Urteils – A 380, panzerbrechende Waffen – berücksichtigen müssen. Das kann durch eine neue und überzeugende Nachweisführung geschehen, dass das Standortzwischenlager den Kriterien doch genügt oder die Situation kann durch Härtungsmaßnahmen der Halle gelöst werden. Denkbar ist weiter ein Neubau am Standort Brunsbüttel. Und möglich ist nach dem Atomgesetz schließlich auch die Verbringung in ein anderes standortnahes – natürlich seinerseits genehmigtes – Zwischenlager. Für dieses müsste dann aber auch eine Genehmigung zur Aufbewahrung der Brunsbüttel-Castoren beantragt werden, weil im Moment alle Zwischenlager nur Abfälle aus dem zugehörigen Atomkraftwerk aufnehmen dürfen. Auf diese letzte Variante komme ich noch zurück. In jedem Fall ist die Entscheidung, welcher Weg eingeschlagen werden soll, von der Betreiberin zu treffen. Vattenfall ist in der Pflicht, wieder Rechtssicherheit herzustellen. Die Entscheidungen hingegen, ob die gestellten Anträge am Ende genehmigt werden, liegen allein beim Bundesamt für Strahlenschutz. Wir sind im Gespräch mit Vattenfall; noch hat die Betreiberin keine Entscheidung getroffen. Ich erwarte von Vattenfall, sich schnell eine Meinung zu bilden, welchen Weg sie einschlagen will und dann die notwendigen Schritte mit allen Beteiligten abzustimmen. Auf entsprechende Klarheit warten auch die Bürgerinnen und Bürger.

Auch wenn die aktuelle Gerichtsentscheidung zunächst nur Brunsbüttel betrifft: Der gerichtliche Vorwurf der Ermittlungsdefizite dürfte auch die übrigen Zwischenlager treffen. Im Klartext: Ob beklagt oder nicht, der Bund muss die Betreiber zum Nachweis der Sicherheit oder gegebenenfalls zur Nachrüstung bewegen. Entsprechend werde ich mit meinen Länderkollegen sowohl an die Betreiber wie auch an den Bund herantreten.

Bei der Errichtung des LasmA, dem neu beantragten Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle auf dem Standortgelände in Brunsbüttel, für das wir selbst Genehmigungsbehörde sind, werden wir die Kriterien der Rechtsprechung ebenfalls anlegen und einfordern.

Im Zwischenlager Brunsbüttel befinden sich neun Castoren, im AKW Brunsbüttel befinden sich noch Brennelemente im Reaktordruckbehälter, für die weitere elf oder zwölf Castoren notwendig sind. Insgesamt wären dem Zwischenlager etwa 20 Castoren zuzurechnen.

Naheliegend erscheinen vor allem zwei der aufgezeigten Möglichkeiten: Entweder es wird ein neuer Genehmigungsantrag für das Zwischenlager Brunsbüttel gestellt mit dem Ziel, das hochradioaktive Material – eben die genannten 20 Castoren – dort rechtssicher zu lagern. Bis zur Entscheidung über einen solchen Antrag würden allerdings einige Jahre vergehen und das Stilllegungsverfahren für das Kernkraftwerk würde deutlich verlängert werden. Denn bis dahin könnten die noch im Reaktordruckbehälter befindlichen Brennelemente nicht in dem nur „geduldeten“ Zwischenlager eingelagert werden. Zweitens ist auch eine andere Lösung denkbar, nämlich das Standortzwischenlager Brunsbüttel als Lager für hochradioaktive Abfälle ganz aufzugeben und stattdessen die 20 Castoren in das Standortzwischenlager am Standort Brokdorf zu bringen. Das ist keine ganz fernliegende Überlegung. Auch dort wäre die Lagerung von Atommüll aus Brunsbüttel sicherlich noch "standortnah", wie es das Gesetz fordert. Das Standortzwischenlager in Brokdorf hat Platz für 100 Castoren. Im Moment lagern dort 26 dieser Behälter. Man kann also in der Tat die Frage stellen, ob man jetzt, da die Produktion weiteren Atommülls endlich ist, wirklich zwei Standortzwischenlager in relativer Nähe braucht. Deren Kapazitäten würden jedenfalls bei weitem nicht mehr ausgeschöpft.

Mir ist vollkommen klar und ich habe Verständnis dafür, dass jede Standortgemeinde großen Wert darauf legt, keinen "fremden Atommüll" zu akzeptieren. Überall befürchtet man, dass Zwischenlager zu Endlagern werden. Meine Meinung ist: Solange wir weder ein Endlager noch eine rasche Perspektive hierfür haben, muss die Anzahl der Zwischenlagerstandorte in Deutschland nach und nach erheblich reduziert werden und die dann noch verbleibenden Lager müssen nach modernsten Standards gesichert werden, "gehärtet" werden, wie die Fachleute sagen.

Niemand kann Vattenfall die Entscheidung abnehmen. Aber für die Landesregierung hat der Rückbau der Atomkraftwerke höchste Priorität. Und ich weiß, bei allen Differenzen im Einzelfall, dass dies für die Betreiber genau so ist und diese Frage erörtert wird. Ich will hier ausdrücklich sagen, dass ich jeden Weg unterstütze, der zu einem schnelleren und sicheren Rückbau führt.

Es bleibt das Problem der 26 Castoren aus der Auslandswiederaufarbeitung. Dass diese Castoren nicht, wie ursprünglich geplant, in das Zwischenlager nach Gorleben gehen, war Teil des nationalen Konsens‘, um einen Neuanlauf für die Suche nach einem deutschen Atommüllendlager zu ermöglichen. Schleswig-Holstein hat sich damals unüblich verhalten und mit hoher Verantwortungsbereitschaft den Weg zu diesem nationalen Konsens frei gemacht, indem letztlich der Gesetzgeber, der Schleswig-Holsteinische Landtag, einen an verschiedene Konditionen geknüpften Beschluss gefasst hat. Zu den Konditionen gehörte, dass es weitere Länder geben soll, die die Last mittragen. Bis heute hat die Bundesregierung weder ein drittes Land noch eine Lösung dafür gefunden.

Sollte der Antrag gestellt werden, die Castoren aus Brunsbüttel nach Brokdorf zu verbringen, dann stünde in Brokdorf kein Platz für die Castoren aus der Wiederaufbereitung mehr zur Verfügung. In Krümmel - sollte sich denn Vattenfall endlich einmal dazu bequemen, auch dieses AKW rückzubauen, was meine nachdrückliche Forderung ist, - wird das Zwischenlager vermutlich benötigt werden, um das schwach- und mittelradioaktive Material zu lagern. Hier gibt es keinen Platz auf dem Gelände für ein zusätzliches Zwischenlager.

Meine Damen und Herren,

die grundsätzliche Bereitschaft des Landes, die errungene Position, auch entgegen der üblichen Rituale der Politik zu handeln, sollte erhalten bleiben. Aber ich glaube, der Bund wird erkennen müssen, dass der beschrittene Weg in eine Sackgasse geführt hat und dass wir einen neuen Weg einschlagen müssen. Jedenfalls kann es gut so kommen, dass Schleswig-Holstein zwar bereit ist, Teil der Lösung zu sein, es aber nach dem Urteil praktisch nicht mehr sein kann. Oder plastischer ausgedrückt: Dass das Land keine politischen Einwände gegen eine Einlagerung in den schleswig-holsteinischen Standortzwischenlagern erhebt, nützt dem Bund nichts, wenn es an einem Standort kein genehmigtes Zwischenlager mehr gibt und an anderen keine Kapazitäten mehr vorhanden sind.

Und die Genehmigung eines neuen Zwischenlagers in Brunsbüttel oder andernorts in Schleswig-Holstein extra für die WAA-Castoren – und dann möglicherweise für alle – ist durch den Landtagsbeschluss nicht abgedeckt.

Ohnehin hat der Beschluss aber nicht die erhoffte Dynamik ausgelöst; es gibt nach wie vor kein drittes Bundesland, das die Verantwortung teilen würde. Und vergessen wir auch nicht die weitere Bedingung aus dem Landtagsbeschluss: "Der Genehmigungszeitraum von 40 Jahren ab der ersten Genehmigung des Zwischenlagers darf nicht verlängert werden." Selbst bei einer neuen Genehmigung dürfte diese also nicht wieder für 40 Jahre erteilt werden und es ist auch weit und breit keine Garantie in Sicht, dass die WAA-Behälter bis 2046 – dann wäre die jetzt für nichtig erklärte Genehmigung ausgelaufen – in ein Endlager verbracht werden könnten.

Ich meine, der Bund muss umdenken. Wir brauchen einen Neuanfang, einen nationalen Neuanlauf, auch für die Zwischenlagerung, der mit der Debatte über das Endlager verzahnt werden muss. Dieser Neuanlauf muss:

  • den Zeitraum der Genehmigung
  • die Sicherheit der Zwischenlager
  • die Sicherheit der Standorte
  • die Rücknahme der WAA-Castoren und
  • die Lastenverteilung für die Länder

berücksichtigen. In solch einer Debatte kann Schleswig-Holstein möglicherweise wieder helfen, in der anderen vermutlich nicht mehr.

Sehr geehrte Damen und Herren,

es geht in dieser wichtigen Debatte um Ethik und Verantwortung. Es geht um grundlegende Richtungsentscheidungen darüber, wie wir mit den Hinterlassenschaften des Atomzeitalters umgehen. Beim Atomzeitalter war auch Schleswig-Holstein vorne mit dabei. Deshalb haben wir hier in den nächsten Monaten und ich fürchte auch in den nächsten Jahren viel zu diskutieren und dann auch zu entscheiden. Es würde uns gut anstehenden, wenn wir dies in gemeinsam getragener Verantwortung tun können!"


Verantwortlich für diesen Pressetext: Nicola Kabel | Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume | Mercatorstr. 3, 24106 Kiel | Telefon 0431 988-7201 | Telefax 0431 988-7137 | E-Mail:
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