Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juli 2013 – 2 C 12.11 und 2 C 18.12 und vom 30. Oktober 2013 – 2 C 16.12
Sehr geehrte Damen und Herren,
nach § 10 Abs. 2 LBG ist die gesundheitliche Eignung für die Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder in ein anderes Beamtenverhältnis mit dem Ziel der späteren Verwendung im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit aufgrund eines ärztlichen Gutach-tens (§ 44 LBG) festzustellen.
Mit den o.a. Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung zum Prognosemaßstab für die gesundheitliche Eignung von Beamtinnen und Beamten aufgegeben und den Prognosemaßstab neu bestimmt. In Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht außerdem klargestellt, dass der Verwaltung bei der Beurteilung der gesundheitlichen Eignung kein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht.
Neuer Prognosemaßstab:
Hinweis: Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzte die gesundheitliche Eignung voraus, dass der Eintritt dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.
Nach der neuen Rechtsprechung ist die gesundheitliche Eignung nicht gegeben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt einer Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze auszugehen ist.
Gleiches gilt, wenn die Beamtin oder der Beamte zwar die gesetzliche Altersgrenze im Dienst erreichen wird, es aber absehbar ist, dass sie oder er wegen einer chronischen Erkrankung regelmäßig erhebliche dem Dienstherrn in der Gesamtheit nicht zumutbare Ausfallzeiten aufweisen wird.
Inhalt des neuen Prognosemaßstabs
Die Prognoseentscheidung setzt eine hinreichende Tatsachenbasis voraus. Die gegenwärtig vorhandene gesundheitliche Eignung kann wegen künftiger Entwicklungen nur verneint werden, wenn durch tatsächliche Anhaltspunkte belegt werden kann, dass mit über-wiegender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt einer Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze auszugehen ist.
Nach den Urteilen vom 25.07.2013 muss die begutachtende Ärztin oder der begutachtende Arzt eine fundierte medizinische Tatsachenbasis für die Prognose auf der Grundlage allgemeiner medizinischer Erkenntnisse und der gesundheitlichen Verfassung des Bewerbers erstellen.
Dabei muss die Ärztin oder der Arzt das Ausmaß der Einschränkungen feststellen und deren voraussichtliche Bedeutung für die Leistungsfähigkeit und für die Erfüllung der beruflichen Anforderungen medizinisch fundiert einschätzen. Die medizinische Diagnose muss daher Anknüpfungs- und Befundtatsachen darstellen, die Untersuchungsmethoden erläutern und ihre Hypothesen sowie deren Grundlage offen legen. Auf dieser Grundlage hat sie unter Ausschöpfung der vorhandenen Erkenntnisse zum Gesundheitszustand des Bewerbers eine Aussage über die voraussichtliche Entwicklung des Leistungsvermögens zutreffen, die den Dienstherrn in die Lage versetzt, die Rechtsfrage der gesundheitlichen Eignung im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG eigenverantwortlich zu beantworten.
Der Eintritt der dauernden Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze oder von regelmäßigen und erheblichen Ausfallzeiten über Jahre hinweg ist bei einer bereits bekannten Erkrankung der Bewerberin oder des Bewerbers überwiegend wahrscheinlich, wenn für die Richtigkeit dieser Annahme nach objektiven Gesichtspunkten derart gewichtige Gründe sprechen, dass andere denkbare Möglichkeiten vernünftiger weise nicht maßgeblich in Betracht kommen (Urteil vom 30.10.2013).
Dabei kann die gesundheitliche Eignung nur im Hinblick auf Erkrankungen, insbesondere chronische Erkrankungen verneint werden, nicht aber unter Berufung auf gesundheitliche Folgen, die mit dem allgemeinen Lebensrisiko verbunden sind (Urteil vom 30.10.2013). Genetische Untersuchungen und Analysen im Zusammenhang mit der Begründung des Beamtenverhältnisses sind bereits nach bisheriger Rechtslage aufgrund von § 85 Abs. 5 LBG i.V.m. §§ 19 bis 22 des Gendiagnostikgesetzes unzulässig.
Wird die Prognose auf wahrscheinlich zu erwartende hohe Fehlzeiten gestützt, müssen diese in der Summe ein Ausmaß erreichen, das einer Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit etliche Jahre vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze gleichkommt. Es muss der Schluss gerechtfertigt sein, die Lebensdienstzeit sei erheblich verkürzt, da die Bewerberin oder der Bewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zur Pensionierung über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen wird(Urteil vom 30.10.2013).
Prognosezeitraum:
Die Prognose erfasst wie bisher den Zeitraum bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze. Dieser Prognosezeitraum folgt nach den o.a. Urteilen aus den in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten hergebrachten Grundsätzen des Lebenszeit- und des Alimentationsprinzips.
Das gilt – in Verbindung mit dem o.a. Prognosemaßstab – solange der Gesetzgeber keinen kürzeren Prognosezeitraum bestimmt. Schwerbehinderte und ihnen Gleichgestellte:Vor dem Hintergrund von § 81 SGB IX darf nach § 13 Abs. 1 Satz 2 ALVO von schwerbehinderten Menschen nur das für die Verwendung erforderliche Mindestmaß an Eignung verlangt werden. Für die Landesverwaltung verbleibt es daher für Schwerbehinderte bei dem fünfjährigen Prognosezeitraum nach Ziffer 3.1.9 der Vereinbarung nach § 59 MBG Schl.-H. über die Neufassung der Richtlinien über die Einstellung, Beschäftigung und begleitende Hilfe schwerbehinderter Menschen in der Landesverwaltung (Schwerbehindertenrichtlinien).
Dieser gilt für nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellte behinderte Menschen entsprechend (Ziffer 1.2.2 der Schwerbehindertenrichtlinien). Weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Behinderte, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, sind nach den o.a. Urteilen weder verfassungs- noch unionsrechtlich geboten.
Hinweis für die Praxis:
Bei der Prüfung der gesundheitlichen Eignung sollte sowohl bei Bewerberinnen und Bewerbern – einschließlich Anträge auf Verbeamtung – um Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe als auch bei Beamtinnen und Beamten auf Probe in den Fällen, in denen die gesundheitliche Eignung zum Ende der Probezeit vor der Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit geprüft wird, der neuen Prognosemaßstab zugrunde gelegt werden.
Information der personalverwaltenden Stellen und der Gesundheitsdienste:
Ich bitte um Unterrichtung der personalverwaltenden Stellen in Ihrem Geschäftsbereich. Außerdem bitte ich, die Ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts entsprechend zu unterrichten.
Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung bitte ich, den öffentlichen Gesundheitsdienst bei den Kreisen und kreisfreien Städten entsprechend zu unterrichten.
Mit freundlichen Grüßen
gezeichnet Tilo von Riegen