KIEL/LÜBECK. Der Bestand des ehemaligen „Brotfisches“ der Ostseefischer, der Dorsch, weist in der westlichen Ostsee historische Tiefstände auf. Die Ursachen für diese Situation können bisher nur in Teilen erklärt werden. Welchen möglichen Einfluss der Kormoran auf den Dorschbestand dabei hat, soll ein vom Ministerium für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz (MLLEV) mit 758.000 Euro aus Mitteln der Fischereiabgabe des Landes Schleswig-Holstein gefördertes Forschungsvorhaben ermitteln. Fischereiminister Schwarz informierte sich heute (27. November) in Lübeck über das Vorgehen der vierjährigen Studie.
"Die Lage der für Schleswig-Holstein charakteristischen Küstenfischerei an der Ostsee ist seit längerer Zeit dramatisch. Wir machen uns große Sorgen um die Fischereibetriebe, da eine gezielte Nutzung von Dorsch und Hering aktuell nicht mehr gegeben ist. Wir unterstützen daher die Wissenschaft in ihrem Bemühen, weitere Ursachen dieser besorgniserregenden Entwicklung bestmöglich aufzuklären. Denn: Nur auf Basis einer fundierten Datengrundlage können verbesserte Vorhersagen der Bestandsentwicklung getroffen und so Entscheidungen für eine ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Fischerei getroffen werden
", so der Minister.
In dem großräumig angelegten Forschungsprojekt sollen neben der schleswig-holsteinischen Küste auch in Dänemark und Mecklenburg-Vorpommern Untersuchungen durchgeführt werden, in welchem Ausmaß Dorsche zur Nahrung der Kormorane im Küstenbereich beitragen. Die Studie wird durch das Institut für Binnenfischerei Potsdam-Sacrow in Zusammenarbeit mit dem Thünen-Institut für Ostseefischerei, die heute den geplanten Verlauf vorstellten, durchgeführt.
Der Direktor des Instituts für Binnenfischerei, Dr. Uwe Brämick, sagte: "Aus Voruntersuchungen im Gebiet der Travemündung wissen wir, dass der Dorsch eine große Rolle in der Ernährung der Kormorane spielen kann. Hochrechnungen ergaben, dass die Kormorane eines einzigen Schlafplatzes am Dassower See in einem Jahr ähnlich viele Dorsche entnommen hatten wie der deutschen Berufsfischerei im Jahr 2022 als Fangquote zur Verfügung stand. Allerdings ist unklar, welchen Anteil der Dorsch an der Nahrung des Kormorans in anderen küstennahen Kolonien ausmacht und wie stark die Schwankungen zwischen den Jahren sind. Daher werden wir unsere Untersuchungen jetzt auf weitere Probenahmeorte in der westlichen Ostsee ausweiten und Daten aus mehreren Jahren sammeln, um dann eine bessere Einschätzung zur Rolle des Kormorans treffen zu können
." Dr. Uwe Krumme, stellvertretender Direktor des Thünen-Instituts für Ostseefischerei, verwies auf bestehende Wissenslücken: "Wir wissen, dass die Erwärmung der Ostsee, gepaart mit der Zunahme sauerstofffreier Bereiche durch die hohe Nährstoffbelastung, den Lebensraum der Dorsche deutlich einschränkt und eine Erholung des Bestandes erschwert. Den Einfluss von Prädatoren können wir in unseren Modellen zur Bestandsberechnung jedoch nicht berücksichtigen, da entsprechende wissenschaftliche Daten bislang fehlen. Hier setzt das Projekt an und wird zumindest für den Kormoran relevante Daten bereitstellen.
"
Hintergrund:
Der Kormoran unterliegt dem allgemeinen Schutz der EU-Vogelschutzrichtlinie und darf in Deutschland nicht gejagt werden. Anfang der 1980er Jahre war der Kormoranbestand europaweit weitestgehend zusammengebrochen. Im Gebiet des südwestlichen Ostseeraums (Dänemark, Deutschland mit den Bundesländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) ist er bis ungefähr 1995 wieder stark gestiegen und liegt seitdem weitgehend konstant bei knapp 50.000 Brutpaaren sowie ca. 12.000 Kormoranen, die nicht brüten, und Kormoranen, die während der Zugzeit dort rasten. In Schleswig-Holstein gibt es aktuell rund 2.750 Brutpaare und bis zu 18.000 rastende Kormorane, wovon ein großer Teil jedoch nur saisonal an der Ostseeküste zu finden ist.
Der Einfluss von Prädatoren – dazu zählen neben dem Kormoran in der Ostsee vor allem Kegelrobben und Schweinswale – kann in den Modellen zur Bestandsberechnung von Dorsch und anderen Arten bislang nur im Rahmen der allgemeinen natürlichen Sterblichkeit berücksichtigt werden. Beim Vorliegen entsprechender verlässlicher Daten könnten diese die Vorhersagen der Bestandsentwicklung der Dorsche und damit die Bedingungen für eine nachhaltige Nutzung verbessern.
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