Einleitung
Mit dieser Broschüre werden die Bildungsleitlinien in ihrer weiterentwickelten Fassung vorgelegt. Sie berücksichtigt die in den vergangenen Jahren in der Praxis gesammelten Erfahrungen, die mit den vorläufigen Leitlinien gewonnen worden sind, ebenso wie die Ergebnisse einer von der Universität Trier durchgeführten Evaluation.
Vor dem Hintergrund des Ausbaus der Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren werden darüber hinaus die besonderen pädagogischen Aspekte, die bei ihnen zum Tragen kommen, stärker akzentuiert. Gleiches gilt für die Hortbetreuung schulpflichtiger Kinder und ihre spezifischen Bedürfnisse. Kindertagesstätten sind Bildungseinrichtungen. Es dringt immer stärker in das allgemeine Bewusstsein, dass das Fundament der Bildung im Kindergarten gelegt wird.
Längst haben sich Kindertageseinrichtungen gelöst vom Bild eines mehr oder weniger notdürftigen Ersatzes für das Elternhaus. Sie können und sie wollen einen Bildungsauftrag für alle Kinder erfüllen. Dieser Geist prägt die schleswig-holsteinischen Bildungsleitlinien, die sich zu Recht ein bundesweit hohes Ansehen erworben haben. Der breite Kanon der darin behandelten Bildungsbereiche – er reicht von musisch-ästhetischer Bildung über Sprache und Mathematik bis hin zu Ethik, Religion und Philosophie – hat Maßstäbe gesetzt. Schleswig-Holstein kann deshalb stolz sein auf seine Bildungsleitlinien, die in enger Kooperation mit kommunalen und freien Trägern und mit der Wissenschaft entstanden sind. Die Kindertageseinrichtungen erfüllen Tag für Tag den hohen Anspruch dieser Leitlinien mit Leben.
Die weiterentwickelten Bildungsleitlinien sollen die Erzieherinnen und Erzieher bei ihrer Arbeit mit den Kindern noch besser unterstützen. Sie formulieren die Ziele, denen sich Kindertageseinrichtungen inzwischen verpflichtet sehen, und sie geben die praktische Hilfestellung, die notwendig ist, um diese Ziele zu erreichen.
Für die Umsetzung bietet das Land in Kooperation mit den Trägerverbänden Fortbildungsveranstaltungen und Arbeitsmaterialien zu allen Bildungsbereichen an und hat Multiplikatorinnen / Multiplikatoren qualifiziert, die die Einrichtungen entsprechend beraten. Die vorläufigen Bildungsleitlinien hatten bei ihrer Einführung eine breite, auch strittige Diskussion ausgelöst. Dabei waren es nicht ihre Inhalte, die Anlass zu Kontroversen gaben. Es war vielmehr die Frage, ob diese Leitlinien nicht neue, zusätzliche Anforderungen auferlegen, denen die Einrichtungen angesichts knapper Ressourcen nicht oder nicht genügend gewachsen sind.
Der Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen ist bereits seit dem Jahr 1991 im Kindertagesstättengesetz verankert und wird mit diesen Leitlinien lediglich konkretisiert und dem Stand angepasst, der zwischenzeitlich für die Elementarpädagogik allgemein gilt. Über die Funktion einer Arbeitshilfe hinaus sind die Bildungsleitlinien vor allem auch Ausdruck des eigenen professionellen Selbstverständnisses und Selbstbewusstseins. Sie bestimmen fachliche Positionen, markieren aber genauso den Anspruch, den die frühkindliche Bildung und diejenigen, die sie Tag für Tag fördern, gegenüber Eltern und Schulen, aber auch gegenüber Gesellschaft und Politik insgesamt erheben.
Bildung in Kindertageseinrichtungen – Grundlagen
Wie pädagogische Fachkräfte Kinder in ihren Bildungsprozessen begleiten, basiert in erster Linie auf ihrer Vorstellung davon, wie Kinder sind, was Bildung ausmacht, welches aus ihrer Sicht die zentralen Einflüsse auf Bildungsprozesse sind und welche Erziehungsvorstellungen sie haben. Ihre Ideen vom Kind und seinen Bildungsprozessen fußen sowohl auf fachlichem Wissen als auch auf (aus Erfahrungen gewonnenen) Alltagstheorien. Um Bildung zu fördern, ist es daher im ersten Schritt notwendig, sich des eigenen Standorts zu vergewissern. Daher werden im ersten Kapitel die Grundlagen dargestellt, auf denen die Bildungsleitlinien fußen:
- das Bildungsverständnis
- die Bedeutung von Bindung
- Spezifika der verschiedenen Altersgruppen
- Ziele von Bildungsbegleitung
- das Verhältnis von Bildung und Erziehung
- die Bedeutung von Demokratie und Nachhaltigkeit
- als Leitprinzipien der Bildungsleitlinien
Querschnittsdimensionen von Bildung in Kindertageseinrichtungen
Im Mittelpunkt der Bildungsleitlinien stehen die individuellen Bildungsprozesse jedes einzelnen Kindes. Bildungsförderung im Sinne der Leitlinien kann daher nur gelingen, wenn die pädagogischen Fachkräfte Unterschiede (Differenzen) bei allen Beteiligten berücksichtigen. Diese Differenzen werden im Folgenden als Querschnittsdimensionen beschrieben, die in allen Bildungsbereichen eine Rolle spielen. Aus den Querschnittsdimensionen ergeben sich neben den Anforderungen an die pädagogischen Fachkräfte spezifische Herausforderungen an Leitungen, Träger und Fachberatungen der Einrichtungen.
Die Querschnittsdimensionen beschreiben die Differenzen zwischen
- den Generationen (Partizipationsorientierung)
- den Geschlechtern (Genderorientierung)
- unterschiedlichen Kulturen (Interkulturelle Orientierung)
- unterschiedlichen Begabungen und Beeinträchtigungen (Inklusionsorientierung)
- unterschiedlichen sozialen Lebenslagen (Lebenslagenorientierung)
- unterschiedlichen Lebensumfeldern (Sozialraumorientierung)
Bildungsbereiche
Bei der Entdeckung und Aneignung der Welt begegnen Kinder vielen Themen. Diese Themen werden im Folgenden in sechs Bildungsbereichen zusammengefasst, die jeweils eine Facette des ganzheitlichen kindlichen Bildungsprozesses betonen:
- Musisch-ästhetische Bildung und Medien – oder:
sich und die Welt mit allen Sinnen wahrnehmen
- Körper, Gesundheit und Bewegung – oder:
mit sich und der Welt in Kontakt treten
- Sprache(n), Zeichen/Schrift und Kommunikation – oder:
mit anderen sprechen und denken
- Mathematik, Naturwissenschaft und Technik – oder:
die Welt und ihre Regeln erforschen
- Kultur, Gesellschaft und Politik – oder:
die Gemeinschaft mitgestalten
- Ethik, Religion und Philosophie – oder:
Fragen nach dem Sinn stellen
Die Bildungsbereiche, deren Bezeichnungen aus dem Kindertagesstättengesetz Schleswig-Holstein übernommen wurden, orientieren sich am gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertagesstätten, der von der Jugendministerkonferenz und der Kultusministerkonferenz 2004 verabschiedet wurde (vergleiche Kultusministerkonferenz 2004).
Kinder bilden sich immer gleichzeitig in mehreren Bildungsbereichen. Wenn ein Kind mit Fingerfarben ein Haus malt, beschäftigt es sich gleichzeitig mit den Themen (ästhetische) Wahrnehmung, Körper und Bewegung sowie vielleicht auch mit der Bedeutung von Symbolen. Kinder entwickeln ihre Fragen immer aus Alltagszusammenhängen heraus, die gleichzeitig verschiedene Lernherausforderungen beinhalten. Daher ist die Beschreibung von Bildungsbereichen künstlich. Die Bildungsbereiche stellen keine „Schulfächer“
dar! Sie dienen lediglich den pädagogischen Fachkräften zur Beobachtung und Reflexion.
Didaktisch-methodische Bausteine zur Begleitung von Bildungsprozessen
Bildungsförderung ist ein reflektiertes und geplantes pädagogisches Handeln. Im Folgenden werden keine konkreten Verfahren der Bildungsförderung, sondern grundlegende Elemente eines solchen Handelns beschrieben. Bildung zu fördern, erfordert von den pädagogischen Fachkräften, didaktische und methodische Kompetenzen.
Dabei ist Didaktik der umfassendere Begriff. Er behandelt im weitesten Sinn das Verhältnis von Lehren und Lernen, fragt also danach, was pädagogische Fachkräfte tun können, um den Kindern möglichst umfassende Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen. Didaktik hat immer den ganzen Prozess im Auge (die Analyse, Entscheidung für Ziele, Inhalte und Verfahren, das Handeln und die Reflexion). Methodik dagegen konzentriert sich stärker auf die konkrete Planung und Umsetzung: Welche Methoden wende ich an, um bestimmte Bildungsprozesse zu befördern?
Professionelles didaktisch-methodisches Vorgehen beinhaltet:
- Erkunden und verstehen: Was beschäftigt das einzelne Kind? Was beschäftigt die Gruppe?
- Planen: Für welche Themen und Ziele entscheiden wir uns? Was wollen wir tun? Wie wollen wir vorgehen?
- Handeln: Wie setzen wir die Planung um?
- Reflektieren (und evaluieren): Was ist geschehen? Was kann künftig geschehen?
- Der gesamte Prozess wird begleitet durch Beobachtung und Dokumentation.
In allen Schritten didaktisch-methodischen Vorgehens gilt es, drei Aspekte zu beachten:
- Bildungsförderung für alle erfordert, die Differenz der Kinder (Querschnittsdimensionen) zu beachten, das Kind in seinen sozialen Bezügen zu verstehen und die Bedarfe der verschiedenen Altersgruppen zu berücksichtigen.
- Um Kindern Zugänge zu möglichst vielen Themen zu eröffnen, gilt es, bei der Planung immer Anregungen aus verschiedenen Bildungsbereichen aufzugreifen.
- Da Bildung immer als Selbstbildung in sozialen Zusammenhängen stattfindet – das Kind erschließt sich die Welt im Dialog mit anderen (Erwachsenen und Kindern) – gilt es, das Kind in allen Phasen zu beteiligen.
Bildungsbegleitung in Kooperation
Hartmut von Hentig hat auf die Frage „Was bildet den Menschen?“
einmal gesagt: „Alles!“
Kinder bilden sich in ihrer Familie, in ihrem räumlichen Umfeld, in Sportvereinen, in Kindertageseinrichtungen – mit anderen Worten: Bildung ist nicht die Sache einer Institution, sondern eine gemeinsame Aufgabe. Kindertageseinrichtungen sind damit Teil der regionalen Bildungslandschaft und müssen die Kooperation mit anderen Bildungs- und Erziehungspartnerschaften vor Ort suchen und intensivieren.
Im Folgenden werden vier Formen dieser Kooperationen dargestellt: die Kooperation der Kindertageseinrichtung
- mit Müttern und Vätern
- mit Lehrkräften
- mit Fachkräften der Jugendhilfe
- mit anderen Menschen, die sich haupt- oder ehrenamtlich im Gemeinwesen engagieren (Politikerinnen und Politiker, Verwaltungsmitarbeiter, in Vereinen Engagierte und viele mehr)
Kooperation ist schnell gefordert, aber nicht leicht umgesetzt. Sie verlangt von den pädagogischen Fachkräften, sich auf die Interessen und Sichtweisen der jeweiligen Partner einzulassen, sie mit eigenen Interessen und Sichtweisen zu vergleichen, sich auch konflikthaft auseinander zu setzen, Kompromisse zu suchen und Regeln der Kooperation zu verhandeln. Voraussetzung für Kooperation ist, dass die pädagogischen Fachkräfte in der Lage sind, das eigene Verständnis von Bildung und die eigenen Möglichkeiten und Grenzen zu klären.
Schlussbemerkungen
Das gemeinsame Ziel guter Bildungsqualität von Kindertageseinrichtungen kann nur mit hohem Engagement der unterschiedlichen Akteure in dieser Institution erreicht werden: der pädagogischen Fachkräfte, der Leitungen und derjenigen, die die Rahmenbedingungen gestalten. Fortbildung und Fachberatung unterstützen die Veränderungsprozesse.