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Finanzministerium
: Thema: Ministerien & Behörden

Monika Heinold

Ministerin für Finanzen

Dr. Philipp Nimmermann: Anzeigepflichten für Steuergestaltungsmodelle

Impulsvortrag von Staatssekretär Dr. Philipp Nimmermann zur IFA-BB Veranstaltung „Klaar is Kees?! - Anzeigepflichten für Steuergestaltungsmodelle aus deutscher und niederländischer Perspektive“

Letzte Aktualisierung: 08.11.2018

Es gilt das gesprochene Wort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Vielen Dank für die Einladung zu dieser Veranstaltung.

Beginnen möchte ich mit einem Zitat, das dem katholischen Kirchenvater und Heiligen Hieronymus (um 347 - 420) zugesprochen wird:

„Die einzige Vollkommenheit der Menschen besteht darin, dass sie sich ihrer Unvollkommenheit bewusst werden“

Dem kann ich mich nur anschließen: Menschen sind unvollkommen. Und das schließt ausdrücklich Politikerinnen und Politiker, Ministerinnen und Minister sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ministerien mit ein.

Und weil Menschen unvollkommen sind, sind auch die von Menschen gemachten Gesetze trotz aller Sorgfalt und trotz aller geballten Kompetenzen von Expertinnen und Experten zwangsläufig unvollkommen. Unvollkommen in dem Sinne, dass wir Menschen die genauen Folgen einer bestimmten Rechtsnorm gar nicht bis ins kleinste Detail, nicht für alle denkbaren und schon gar nicht für die undenkbaren Fälle vorhersagen können. Dies gilt auch für Steuernormen. Unsere Welt ist schlichtweg zu komplex und zu dynamisch, als dass eine exakte Vorhersage der Wirkung von einzelnen Steuernormen auch nur annähernd möglich wäre. Und so kann es immer wieder zu Steuergestaltungen kommen, die zwar legal sind, die aber nicht der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers entsprechen.

Nehmen wir die Rolle von Finanzinnovationen im Zusammenhang mit Steuergestaltungen. Bevor ich Staatssekretär wurde, habe ich fast 16 Jahre lang in einer Privatbank gearbeitet, davon rund die Hälfte der Zeit im Handelsraum dieser Bank. Dort habe ich viele Variationen von Finanzinnovationen kennengelernt. Wenn ich mir nun die Finanzinnovationen anschaue, die mir seit meiner Tätigkeit als Finanzstaatssekretär bekannt geworden sind, dann hätte ich die Existenz dieser Finanzinstrumente vorher nicht für möglich gehalten, weil sie schlichtweg ohne die steuerliche Komponente keinen wirtschaftlichen Sinn machen.
Der einzige Sinn besteht darin, Verluste zu generieren, um diese gegen eine Steuerschuld anrechnen zu können. Diese Innovationskraft der Finanzbrache lässt sich meines Erachtens nicht durch die Gesetzgeber antizipieren.

Wenn wir Menschen schon nicht vollkommen sind und auch die von uns geschaffenen Gesetze nicht, dann sollten wir uns - meiner Meinung nach - dies im Sinne von Hieronymus zumindest bewusst sein. Und wir sollten einen Weg finden, wie wir mit dieser Unvollkommenheit zum Wohl unserer Gesellschaft umgehen wollen. Meines Erachtens ergibt sich sogar eine unmittelbare Verpflichtung zum Handeln aus dem Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz. Danach ist dafür zu sorgen, dass alle Menschen gleichbehandelt werden.

Dies schließt auch die Gleichmäßigkeit der Besteuerung ein. Denn wenn der Gesetzgeber erst einmal eine grundlegende Belastungsentscheidung für die Steuerpflichtigen getroffen hat – beispielsweise in Abhängigkeit der Leistungsfähigkeit -, besteht meines Erachtens für den Gesetzgeber auch die Pflicht stets zu überprüfen, ob die gewollte Steuerbelastung auch tatsächlich gleichmäßig umgesetzt wird. Einfach gesagt bedeutet dies: Der Gesetzgeber hat die Pflicht zeitnah zu überprüfen, ob Steuernormen so angewendet werden, wie er es selbst geplant hat.

Derzeit bekommt der Gesetzgeber ungewollte Folgen bestimmter Steuergestaltungen erst mit großem Zeitverzug mit. Denn diese Steuergestaltungen werden regelmäßig erst im Rahmen einer nachgelagerten Betriebsprüfung entdeckt. Zu diesem Zeitpunkt werden sie jedoch zum Teil bereits seit Jahren zur legalen „Steueroptimierung“ genutzt. Der Schaden für die Gesellschaft – in Form einer Verletzung der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichmäßigkeit der Besteuerung und die damit einhergehende Steuermindereinnahme – wird also erst sehr spät oder schlimmsten Falls gar nicht erkannt.

Erst wenn die unerwünschten Folgen bestimmter Steuernormen bekannt werden, kann der Gesetzgeber entsprechend handeln und seine unvollkommene Gesetzgebung heilen, die so genannte Steuerschlupflöcher also schließen. Wie ich finde zu Recht, gilt dabei in Deutschland ein weitgehendes Rückwirkungsverbot für Gesetzesänderungen. Die Begrenzung des Ausmaßes einer Schädigung des Gemeinwohls aufgrund unerwünschter Folgen bestimmter Rechtsnormen auf ein geringstmögliches Maß kann damit nur erreicht werden, wenn der Zeitpunkt des Bekanntwerdens unerwünschter Steuergestaltungen zeitlich nach vorne verlegt wird.

Und genau hier setzt die Anzeigepflicht für Steuergestaltungen an: Diese Anzeigepflicht soll nach unseren Vorstellungen bereits im Zeitpunkt des Vermarktens oder Empfehlens an die Steuerpflichtigen bzw. des erstmaligen Nutzens durch den Steuerpflichtigen greifen. Die Finanzverwaltung kann damit legale, jedoch möglicherweise unerwünschte Gestaltungen früher als bisher erkennen. Und der von uns allen durch demokratische Wahlen legitimierte Gesetzgeber wird wieder in die Lage versetzt, zeitnah zu reagieren, wenn er dies für notwendig hält, um eine faire und gerechte Besteuerung aller Steuerpflichtigen zu gewährleisten. Mit den Erkenntnissen aus diesen Anzeigen beginnt die originäre Verantwortung der Politik, nämlich zu handeln – in die eine Richtung oder in die andere. Und ja, es lässt sich trefflich darüber streiten, ob die Politik diese Verantwortung in der Vergangenheit zu genüge wahrgenommen hat – siehe etwas beim Thema cum-ex.

Wie könnte nun so eine Anzeigepflicht ausgestaltet werden? Wahrscheinlich ist den meisten von Ihnen die ifst-Schrift 525 aus diesem Jahr bekannt, mit dem Titel: „Anzeigepflicht für Steuergestaltungen – Eine rechtliche Würdigung verschiedener Entwürfe unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zu § 42 AO“. Dort wird recht ausführlich auch auf unseren Entwurf eingegangen. Außerdem wird das BMF einen eigenen Gesetzesentwurf vorlegen, der nicht automatisch dem Länder-Modell entsprechen muss. Gleichwohl stehen die Länder im engen Austausch mit dem BMF. Dies geschieht derzeit vor allem auf Ebene der Abteilungsleiter Steuern. Bei diesem Austausch wirbt Schleswig-Holstein intensiv dafür, den Grundgedanken des Länder-Modells weitgehend umzusetzen. Wenn ich mir die bisherigen Diskussionsentwürfe des BMF anschaue, dann scheint uns dieses Werben recht gut gelungen zu sein …

Da Sie mit mir heute einen Staatssekretär eingeladen haben – also einen Vertreter der Politik -, gehe ich davon aus, dass Sie mit mir nicht eine rechtswissenschaftliche Debatte über einzelne Regelungen des Ländermodells oder der nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie führen wollen – etwa über die Problematik von unbestimmten Rechtsbegriffen -, sondern von mir eine politische Aussage über die meines Erachtens notwendigen Eckpunkte einer Anzeigepflicht erhalten wollen. Dies will ich gerne tun:

Erstens: Es besteht Einigkeit unter den Länderfinanzminister*innen, dass mit der Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen kein Bürokratiemonster geschaffen werden soll. Um die Verhältnismäßigkeit bei der Gewährleistung der Besteuerungsgleichheit zu wahren, reicht eine Begrenzung auf klar abgrenzbare, bedeutsame Steuergestaltungen aus. Das Ländermodell sieht deshalb eine Reihe von Filtern vor, die die anzeigepflichtigen Fälle deutlich einschränken sollen. Wir setzten uns in unseren Diskussionen mit dem BMF dafür ein, dass diese Filter - oder ähnliche - auch ihren Weg in den Gesetzesentwurf des BMF finden.

Nach unserer Auffassung lässt sich die Bedeutsamkeit der bisher nicht bekannten Steuergestaltungen an der Größe bzw. der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen festmachen, die diese Steuergestaltungen nutzen. Deshalb sieht der Länder-Vorschlag grob gesprochen eine Begrenzung der Anzeigepflicht bei Unternehmen auf Gestaltungen für Konzerne und Großbetriebe vor, sowie bei natürlichen Personen auf so genannte Einkommensmillionäre.

Nach unseren Berechnungen für Schleswig-Holstein, würde diese Filter dazu führen, dass bei über 99 Prozent der Steuerpflichtigen erst gar nicht geprüft werden muss, ob eine Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen vorliegt oder nicht. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Lediglich bei Steuergestaltungen, die für weniger als 1 Prozent der Steuerpflichtigen gedacht sind, muss geprüft werden, ob diese Gestaltungen von der geplanten Anzeigepflicht betroffen sind. Ich denke, dass dies Quote dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit gerecht wird.

Ein zweiter Punkt ist den Länderfinanzminister*innen ebenfalls sehr wichtig: Die Länder verfolgen mit der Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen ausschließlich einen rechtspolitischen Ansatz, d.h., uns interessieren alleine bisher unbekannte Gestaltungsmodelle. So hat die Anzeigepflicht nach den Vorstellungen der Länder ausdrücklich nicht das Ziel, die Steuerveranlagung zu unterstützen. Damit unterscheidet sich unser Vorschlag deutlich von der EU-Richtlinien zur Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen. Es geht uns bei der Anzeigepflicht für Steuergestaltungen auch nicht um eine Förderung von „Tax Compliance“, verstanden als die Bereitschaft geltende Steuergesetze zu beachten und steuerliche Pflichten zu erfüllen. Schließlich soll die Anzeigepflicht nur legale Steuergestaltungen betreffen. Das niederländische Modell des so genannten „horizontal monitoring“ stellt deshalb auch keine Alternative zur Anzeigepflicht dar, zumindest dann nicht, wenn dieser Informationsaustausch allein der regelkonformen Steuerveranlagung dienen soll. denn es handelt sich bei „horizontal monitoring“ nach meinem Verständnis nicht um einen rechtspolitischen Ansatz, sondern um einen Ansatz der Steuererhebung.

Drittens: So wie auch in der EU-Richtlinie, sollen nach dem Wunsch der Länder so genannte Intermediäre vorrangig anzeigepflichtig sein, also diejenigen Personen die Steueroptimierungsmodelle gegen Entgelt vermarkten, für Andere entwickeln, oder die Umsetzung solcher Steuergestaltungen organisieren bzw. verwalten. Entgegen der EU-Richtlinie wollen wir jedoch streng dem rechtspolitischen Ansatz folgen: nach unserer Auffassung ist bei der Anzeige von nationalen Gestaltungsmodellen durch diese Intermediäre die Nennung der Steuerpflichtigen, die diese Modell nutzen, ausdrücklich nicht erforderlich. Insofern kommt es im Ländermodell auch nicht zu Konflikten in Bezug auf mögliche Verschwiegenheitspflichten. Die Steuerpflichtigen selbst sollten nach unseren Vorstellungen - unter Berücksichtigung der anfangs bereits genannten Einschränkungen -dem Grunde nach nur dann zur Meldung von Steuergestaltungen verpflichtet werden, wenn sie bisher unbekannte Gestaltungen ohne fremde Hilfe selbst entwickelt haben und selbst anwenden.

Viertens: Wir sind der Auffassung, dass dem Bestimmtheitsgrundsatz generell genüge getan wird, wenn - ähnlich wie bei der EU-Richtlinie – die Anzeigepflicht durch das Zusammenspiel einer abstrakten Definition mit positiven Regelbeispielen konkretisiert wird. Die in der EU-Richtlinie verwendeten Begrifflichkeiten könnte demnach entsprechend auch für die Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen übernommen werden, auch wenn bisher die Formulierungen des Ländermodells im Einzelnen davon abweichen.

Anders als die EU-Richtlinie, halten wir jedoch zusätzlich die Anwendung von negativen Regelbeispiele für wichtig. Denn durch diese Negativbeispiele kann der Kreis der meldepflichtigen Steuergestaltungen noch weiter eingeschränkt werden. Nach unseren Vorstellungen liegt eine anzeigepflichtige Steuergestaltung nicht vor, wenn sie nachweislich bereits bekannt ist. Gleiches gilt in der Regel, wenn die Gestaltung auf einen Einzelfall zugeschnitten ist, also nicht ohne weiteres auf Andere übertragen werden kann, oder wenn sie von natürlichen Personen ohne Hilfskräfte für eigene Zwecke konzipiert wurde. Außerdem halten wir eine de-minimis Schwelle für angebracht, z.B., wenn auf Basis vereinfachter Annahmen der Barwert des Steuervorteils 50.000 Euro nicht übersteigt.

Auch wenn wir der festen Auffassung sind, dass unser Modell weder ein Bürokratiemonster noch unverhältnismäßig ist, mögen diejenigen, die von dieser Anzeigepflicht betroffen wären – insbesondere die Intermediäre -, nichtdestotrotz sagen: „Wieso sollen wir dem Gesetzgeber dabei helfen, ungewollte Lücken der Steuergesetzgebung aufzudecken, wir sind doch nicht die Handlanger des Fiskus und nicht der Reparaturbetrieb des Staates“. Dies ist jedoch ein Gesellschaftsverständnis, das ich nicht teile. Ich bin ausdrücklich der Auffassung, dass sich alle Mitglieder einer Gesellschaft daran beteiligen sollten, die gesellschaftlich gewünschten Folgen unseres Rechtssystems bestmöglich zu gewährleisten.

Ich bin mir sicher, dass gerade die Steuerberaterinnen und –berater dieses Gesellschaftsverständnis mit mir teilen. Schließlich verstehen sie sich die meines Wissens als ein unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege, die sich sowohl den Interessen ihrer Mandanten als auch dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen (siehe Bundessteuerberaterkammer). Im Übrigen gibt es bereits jetzt etliche Mitwirkungspflichten für Berufsgruppen, die in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu ihren Kunden und Mandanten stehen, wie etwa bei Notaren in Bezug auf Immobilientransaktionen, oder bei Ärzten im Zusammenhang mit der Arzneimittelüberwachung (Stichwort: Pharmakovigilanz).

Interessant finde ich zudem auch die Diskussion darüber, ob eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen einem „Eingriff in die freie Berufswahl“ gleichkommt (siehe z.B. Gutachten im Auftrag der Bundessteuerberaterkammer). Handelt es sich bei der Entwicklung und Vermarktung innovativer Steuergestaltungsmodelle tatsächlich um einen eigenständigen Beruf im Sinne des Grundgesetzes? Und wenn dem so wäre: würde die von uns geplante Anzeigepflicht tatsächlich dazu führen, dass sich dieser eigenständige „Beruf“ wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ausüben ließe? In meinen Gesprächen mit den Steuerberaterinnen und –berater in Schleswig-Holstein habe ich zumindest den Eindruck gewonnen, dass auf diese Gruppe bezogen nicht die Sorge vor einem Eingriff in deren Berufswahl herrscht. Wohlmöglich lässt sich dies jedoch nur im Einzelfall klären…

Zusammenfassend kann ich festgehalten: Es geht uns bei der Anzeigepflicht für Steuergestaltungen in keinem Fall darum, mit dem erhobenen Finger auf Steuerpflichtige zu zeigen, auch nicht auf die beratenden Berufe. Es geht nicht um die Frage „legal oder illegal“, nicht einmal um die Frage „legal oder legitim“. Es geht auch nicht um die Verurteilung „aggressiver Steuergestaltung“, aber auch nicht um eine „aggressive Steuerverwaltung“ – zwei Metaphern, die ich in diesem Zusammenhang für äußerst unangebracht halte. Uns geht es vorrangig um die Politik, den Gesetzgeber. Denn sie waren es, die in ihrer Unvollkommenheit unvollkommene Gesetze geschaffen haben. Mit der Anzeigepflicht und dem Bekanntwerden von bisher unbekannten Steuergestaltungen erhöht sich der Druck auf die Politik ihrer Verantwortung, im Sinne einer Pflicht zur Überprüfung dieser Steuergestaltungen, nachzukommen und nachzusteuern, falls die Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch die Möglichkeit einer speziellen Steuergestaltungsmöglichkeit nicht mehr gewährleistet werden kann.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ich freue mich auf eine spannende Diskussion!

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