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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht und Sozialgerichte : Thema: Gerichte & Justizbehörden

Die grob fahrlässige Herbeiführung einer Arbeitslosigkeit führt zu einer Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld auch dann, wenn das arbeitsvertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers nur – einfach – fahrlässig erfolgte

Letzte Aktualisierung: 22.04.2020

SG Itzehoe, Urteil vom 27. März 2018, S 34 AL 21/14 (PDF, 249KB, Datei ist barrierefrei)

Die wirtschaftliche Existenzsicherung von Arbeitnehmern nach einem Jobverlust wird in unserem Sozialstaat zunächst durch die Gewährung des von der Bundesagentur für Arbeit ausgezahlten Arbeitslosengeldes gewährleistet.

Seit der der Schaffung des Arbeitslosengeldes II – im Volksmund häufig als „Hartz IV-Leistung“ bezeichnet – im Jahr 2005 findet sich landläufig häufig die Bezeichnung Arbeitslosengeld I für das von der Bundesagentur für Arbeit auf Grundlage des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) gewährte Arbeitslosengeld – eine unzutreffende Bezeichnung, da es sich bei dieser Lohnersatzleistung gemäß der Terminologie im SGB III nach wie vor schlicht um Arbeitslosengeld handelt (das Arbeitslosengeld II ist hingegen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch [SGB II] geregelt und wird in der Regel von Jobcentern geleistet).

Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer arbeitslos ist – also insbesondere nicht (mehr) in einem Beschäftigungsverhältnis steht –, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat und die gesetzliche Anwartschaftszeit erfüllt hat. Dafür ist im Grundsatz erforderlich, dass der Versicherte innerhalb der in § 143 SGB III geregelten Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis – regelmäßig also in einem Arbeitsverhältnis – gestanden hat. Sozialgerichte beschäftigt sich häufig mit den Fällen, in denen die Gewährung von Arbeitslosengeld nicht sogleich vom Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitslosigkeit und dem Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung an erfolgt, sondern erst nach einigen Wochen – in nicht wenigen Fällen sogar erst nach mehreren Monaten – einsetzt. Diese Form des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wird vom Gesetz als Sperrzeit bezeichnet.

Die häufigste Fallgruppe solcher „Sperrzeitfälle“ ist die der Arbeitsaufgabe, wozu das Gesetz nicht nur die Fälle rechnet, in denen der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis von sich aus – selbst – gekündigt hat, sondern auch die Fälle, in denen der Arbeitnehmer durch arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Arbeitsverhältnisses gegeben und dadurch die Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig – wenn nicht gar vorsätzlich – herbeigeführt hat. Dass eine solche grobe Fahrlässigkeit auch in solchen Konstellationen bejaht werden kann, in denen dem Arbeitslosen im Hinblick auf sein arbeitsvertragswidriges Verhalten keine grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, zeigt der nachfolgende Fall.

Der Fall

Der Kläger war als Taxifahrer beschäftigt gewesen. In seinem Arbeitsvertrag hatte er gegenüber dem Arbeitgeber bestätigt, im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein. Der Arbeitgeber hatte den Kläger zudem vertraglich verpflichtet, ihm den Verlust der Fahrerlaubnis und eine Verhängung eines Fahrverbotes unverzüglich anzuzeigen. Der Kläger war arbeitsvertraglich ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass er bei Verlust der Fahrerlaubnis oder bei Ausspruch eines Fahrverbotes nicht länger berechtigt sei, Fahrgastbeförderungen durchzuführen.

Gegen den Kläger wurden wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten Bußgelder verhängt: Am 24. Juni 2012 überschritt er die höchstzulässige Geschwindigkeit innerorts um 26 km/h und am 26. Februar 2013 missachtete der Kläger eine rote Ampel. Am 10. April 2013 überfuhr der Kläger beim Linksabbiegen eine Fußgängerin, die sich dadurch schwere Verletzungen zuzog. Wegen des Vorfalls vom 10. April 2013 entzog das Amtsgericht – neben der Verhängung weiterer Sanktionen – dem Kläger die Fahrerlaubnis. Das amtsgerichtliche Urteil wurde in der Berufungsinstanz durch das Landgericht aufgehoben und die Entziehung der Fahrerlaubnis zu einem zweimonatigen Fahrverbot wegen fahrlässiger Körperverletzung abgeschwächt. Der Arbeitgeber hatte das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund der geschilderten Vorfälle im Straßenverkehr zum 11. September 2013 fristlos gekündigt. Die beklagte Arbeitsagentur stellte nach Arbeitslosmeldung des Klägers am 12. September 2013 mit Bescheid vom 12. Dezember 2013 das Bestehen einer Sperrzeit vom 12. September 2013 bis zum 4. Dezember 2013 fest. In dieser Zeit ruhe der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der Kläger habe seine Beschäftigung verloren, weil er seinen Führerschein verloren habe. Da davon auszugehen gewesen sei, dass der Arbeitgeber ein solches Verhalten nicht dulde, sei der Verlust des Arbeitsplatzes leicht abzusehen gewesen.

Hiergegen erhob der Kläger – nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens – Klage vor dem Sozialgericht Itzehoe und machte geltend, dass er zwar aufgrund des von ihm verschuldeten Unfalls seinen Führerschein verloren und damit arbeitsvertragswidrig gehandelt habe, dass ihm jedoch weder vorsätzliches noch grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden könne. Er sei lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden, weswegen ihm von der Beklagten auch nicht unterstellt werden könne, dass der von ihm fahrlässig verursachte Unfall eine grobe Fahrlässigkeit gegenüber seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen darstelle.

Die Entscheidung

Das Sozialgericht hat die Sperrzeitentscheidung der Agentur für Arbeit bestätigt und die Klage mithin abgewiesen. Zur Begründung hat es in seinem Urteil ausgeführt, dass der Kläger sich versicherungswidrig verhalten habe, indem er durch arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses als Taxifahrer gegeben und dadurch grob fahrlässig seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt habe. Der Kläger habe konkret gegen die sich aus seinem Arbeitsvertrag ergebenden Nebenpflichten verstoßen, sich während der Berufsausübung im Straßenverkehr untadelig zu verhalten – und insoweit insbesondere solche Verkehrsverstöße zu unterlassen, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis oder Verhängung eines Fahrverbotes führen können – und dadurch dafür Sorge zu tragen, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr berechtigt bleibe. Dadurch, dass der Kläger insbesondere am 10. April 2013 beim Abbiegevorgang eine Fußgängerin übersehen und diese überfahren habe, habe er sich eines schwerwiegenden Verkehrsverstoßes schuldig gemacht, der seinen Arbeitgeber zum Ausspruch der fristlosen Kündigung des Arbeitsvertrages berechtigt habe. Der Eintritt der dadurch von dem Kläger herbeigeführten Arbeitslosigkeit sei auch durch ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers verursacht worden. Für den Kläger habe die Möglichkeit des Jobverlusts vor der Verursachung des Unfalls am 10. April 2013 derart naheliegen müssen, dass er sie bei der Ausübung seiner Tätigkeit als Taxifahrer schlicht nicht habe außer Acht lassen dürfen. Vor dem Hintergrund der bereits am 24. Juni 2012 und am 26. Februar 2013 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten, die auch in die strafrechtliche Verurteilung des Klägers einbezogen worden waren, habe es bei der Verursachung des schweren Verkehrsunfalls am 10. April 2013 auf der Hand gelegen, dass dies nicht nur eine strafrechtliche Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe nach sich ziehen würde, sondern damit einhergehend auch die Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. die Verhängung eines mehrmonatigen Fahrverbotes – und in der Folge den Verlust des Arbeitsplatzes. Dass der Kläger wegen des Überfahrens der Fußgängerin letztlich nur wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden sei, führe nicht dazu, dass ihm hinsichtlich der Herbeiführung der arbeitgeberseitigen Kündigung nicht der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gemacht werden könne. Denn der für den Eintritt der Sperrzeit erforderliche Vorwurf der groben Fahrlässigkeit beziehe sich nicht auf das arbeitsvertragswidrige Verhalten selbst, sondern (nur) auf die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit.

Das Recht

Nach § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer vertragswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Ein solches vertragswidriges Verhalten liegt unter anderem dann vor, wenn die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe; § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III). Das Gesetz selbst enthält keine Definition für grobe Fahrlässigkeit. Schon seit langem wird dieser Begriff in der sozialrechtlichen Rechtsprechung aber dahingehend verstanden, dass grobe Fahrlässigkeit dann gegeben ist, wenn der Arbeitslose die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich großem Maße verletzt hat, wenn also schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen von ihm nicht angestellt werden und dasjenige unbeachtet bleibt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.

Unter Anwendung dieses Maßstabs hat das Sozialgericht gut nachvollziehbar entschieden, dass der Kläger seine Arbeitslosigkeit grob fahrlässig herbeigeführt hat. Wenn jemand als Taxifahrer – wie hier der Kläger – bereits in relativ kurzer Zeit zwei erhebliche Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen hat, liegt es ganz besonders nahe, im Straßenverkehr nunmehr ganz besondere Achtsamkeit walten zu lassen, um den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht zu gefährden. Mit einer solchen – gesteigerten – Sorgfalt ist es nicht in Einklang zu bringen, aus Unachtsamkeit einen Fußgänger über den Haufen zu fahren. Dass es dem Kläger hier nicht zugute kommen konnte, dafür letztlich nur wegen (einfach) fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden zu sein, beruht auf der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die vorliegend von dem Sozialgericht Itzehoe herangezogen wurde. Das BSG hat nämlich bereits im Jahr 2005 entschieden, dass sich der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit im Rahmen der gesetzlichen Sperrzeitregelung nicht auf das arbeitsvertragswidrige Verhalten selbst, sondern auf die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit bezieht (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 2005, B 7a AL 46/05 R, BSGE 96, 22 ff.). Das bedeutete hier, dass es rechtlich unerheblich war, dass der Kläger den Verkehrsunfall vom 10. April 2013 nur (einfach) fahrlässig herbeigeführt hat; entscheidend war, dass sich diese Sorgfaltspflichtverletzung im Hinblick auf den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses als grob fahrlässiges versicherungswidriges Verhalten darstellte. Schließlich hatte die beklagte Arbeitsagentur auch die Dauer der Sperrzeit zutreffend berechnet. Denn die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beträgt im Grundsatz zwölf Wochen (§ 159 Abs. 3 Satz 1 SGB III) und beginnt im Regelfall mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet (§ 159 Abs. 2 Satz 1 SGB III) – hier also mit dem auf den Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen fristloser Kündigung folgenden 12. September 2013.

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