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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht und Sozialgerichte : Thema: Gerichte & Justizbehörden

SGB II - Mehrbedarf für die Anschaffung eines Computers

Letzte Aktualisierung: 31.05.2019

Jobcenter muss für Kauf eines Computers 600 € zahlen

Urteil LSG AZ: L 6 AS 238/18 B ER, SG Kiel S 32 AS 322/18 ER  (PDF, 293KB, Datei ist barrierefrei)

100 € pro Schuljahr erhalten Schüler*innen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, um den persönlichen Schulbedarf davon zu decken. Fallen aber außergewöhnlich hohe Kosten für die Anschaffung von Gegenständen an, die in der Schule benötigt werden, kommt ausnahmsweise zusätzlich die Übernahme der Kosten durch das Jobcenter in Betracht. Setzt die Schule z.B. voraus, dass für Hausaufgaben und zur Vorbereitung von Präsentationen ein Computer benutzt wird und stehen in der Schule oder zuhause nutzbare Geräte nicht zur Verfügung, muss das Jobcenter die Kosten hierfür ggf. übernehmen.

DER FALL

Der Jugendliche S. ist 13 Jahre alt und geht in die 8. Klasse einer Gemeinschaftsschule. An seiner Schule ist es üblich, dass Hausaufgaben gestellt werden, für die man einen Computer benutzen muss. Zum Beispiel müssen im Internet Recherchen durchgeführt oder Präsentationen über entsprechende Computer-Programme erstellt und in der Klasse gezeigt werden. Im 9. und 10. Jahrgang dieser Schule gehören PowerPoint-Präsentationen sogar zum Prüfungsstoff.

In der Schule gibt es zwar eine Bibliothek, in der wenige PCs stehen, die die Schüler*innen benutzen dürfen. Allerdings ist dieser Raum nur an drei Nachmittagen die Woche geöffnet und ein ungestörtes Arbeiten ist dort nur selten möglich.

Die Familie von S. bezieht Leistungen nach dem SGB II (im Volksmund: Hartz IV). Neben der Regelleistung und seinem Mietanteil erhält S. wie alle Schüler*innen zusätzlich 100 € pro Jahr (70 € im ersten Halbjahr und 30 € im zweiten Halbjahr) für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf.

S. beantragt zu Beginn des Schuljahres beim zuständigen Jobcenter die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines internetfähigen PCs nebst erforderlichem Zubehör und Office-Paket. Das Jobcenter lehnt den Antrag ab. Es ist der Auffassung, es gebe keine Rechtsgrundlage, aus der sich ein Anspruch von S. ergebe. Der Computer sei kein laufender besonderer Bedarf, so dass auch die Ausnahmevorschrift hierzu nicht in Betracht komme.

S. wendet sich an das Sozialgericht Kiel und will die Kosten für den Computer über ein Eilverfahren zügig erstreiten. Er beziffert die Kosten mit 1.210,93 €.

DIE ENTSCHEIDUNG

Das Sozialgericht Kiel lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Es war wie das Jobcenter der Auffassung, dass das SGB II keine Rechtsgrundlage enthalte, wonach solche einmaligen Kosten als Zuschuss – also als Betrag, den man nicht zurückzahlen muss – gewährt werden könnten. Denn grundsätzlich seien Kosten für Computer und Drucker bereits im Regelsatz enthalten und müssten ggf. hieraus angespart werden. Das Jobcenter könne für den PC allerdings ein Darlehen gewähren. Da S. ein Darlehen aber ausdrücklich nicht wollte, habe der Antrag abgelehnt werden müssen.

Hiergegen legte S. Beschwerde zum Landessozialgericht ein. Dieses gab ihm Recht. Allerdings war es der Ansicht, dass ein Betrag von 600 € ausreichend sei, um einen PC oder Laptop sowie ein Office-Paket und einen Drucker anzuschaffen. Es verwies zur Begründung auf eine gründliche Marktrecherche.

Auch das Landessozialgericht war der Auffassung, dass es im SGB II keine für diesen Fall passende Anspruchsgrundlage gebe. Es wandte aber die Auffangvorschrift für besondere Mehrbedarfe (§ 21 Abs. 6 SGB II) analog an. Zwar seien Bedarfe für Computer und Drucker bereits in den Regelsatz eingeflossen, diese seien aber für Kinder zwischen 6 und 14 Jahren mit 2,28 € so niedrig bemessen, dass die Kosten in Höhe von 600 € hiervon nicht gedeckt werden könnten. Bei der Höhe der Kosten könne der Betrag von S. auch nicht angespart werden. Schließlich könne er den Computer nicht aus der Pauschale von 100 € für den Schulbedarf anschaffen. Diese diene der Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf wie Füller, Kugelschreiber, Stifte u.a. Auch ein Taschenrechner müsse aus dieser Pauschale gekauft werden. Kosten für höherwertige elektronische Geräte habe der Gesetzgeber dagegen nicht berücksichtigt.

DAS RECHT

Im Normalfall bestehen die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II aus den Regelbedarfen und den Bedarfen für Unterkunft und Heizung. Außerdem gibt es zusätzliche Bedarfe für Bildung und Teilhabe. Reichen die Regelleistungen in bestimmten Situationen nicht aus, um den Bedarf zu decken, sind hierfür unter Umständen Mehrbedarfe zu gewähren. Diese sind geregelt in § 21 SGB II. Solche Mehrbedarfe gibt es zum Beispiel für schwangere, alleinerziehende, behinderte oder kranke Leistungsberechtigte.

Außerdem sieht § 21 Abs. 6 SGB II einen Mehrbedarf vor, soweit ein im Einzelfall unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Diese sehr vage formulierte Auffangvorschrift setzt voraus, dass ein Bedarf zwingend vorliegt und nicht anders gedeckt werden kann. Außerdem darf es kein einmaliger Bedarf sein, sondern er muss laufend bestehen. Grundsätzlich passt diese Vorschrift auf den vorliegenden Fall, weil das Landessozialgericht davon ausging, dass der Computer für S. zwingend erforderlich war, um in der Schule erfolgreich arbeiten zu können. Es ging auch davon aus, dass die Kosten für den Computer und das Zubehör so hoch sind, dass S. das Geld hierfür nicht hätte ansparen können oder die Pauschale für den Schulbedarf hierfür ausgereicht hätte.

Allerdings handelt es sich bei einem Computer nicht um einen laufenden Bedarf, weil er normalerweise nicht öfter als einmal im Halbjahr angeschafft werden muss. Das Landessozialgericht ist deshalb zu einer analogen Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II gekommen.

Eine analoge Anwendung kommt in Betracht, wenn ein Sachverhalt an sich nicht von der angewendeten Vorschrift erfasst wird. Auch keine andere Vorschrift darf diesen Fall regeln, so dass eine Regelungslücke vorliegt, die vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war. Auf der anderen Seite muss es aber ein Regelungsbedürfnis für diesen Fall geben. Das ist vor allem dann der Fall, wenn es ohne eine entsprechende Regelung zu schwerwiegenden Nachteilen einer Person oder sogar Grundrechtsverstößen kommt. Das war hier der Fall, weil das Recht des S. auf eine gleichberechtigte Teilhabe an Bildung betroffen war. Außerdem muss die Interessenlage des Sachverhalts, den die Vorschrift regelt, mit dem zu entscheidenden vergleichbar sein. Auch dies war hier gegeben, weil der Betrag, der für Computer in den Regelbedarf eingeflossen ist, so gering war, dass hiervon die Anschaffung eines Computers auch auf lange Sicht nicht möglich gewesen wäre.  

 

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