Navigation und Service

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht und Sozialgerichte : Thema: Gerichte & Justizbehörden

Kosten für Implantate zum Wundverschluss, die eine minimal-invasive Durchführung einer Meniskusoperation ermöglichen, hat die Krankenkasse im Verhältnis zum ambulant operierenden niedergelassenen Arzt zu übernehmen

Letzte Aktualisierung: 03.09.2020

Anspruch auf Sachkostenvergütung für Nahtanker nach AOP-Vertrag (SG KI) Endfassung (PDF, 385KB, Datei ist barrierefrei)

Aus Sicht der in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Versicherten stellt sich die ärztliche Versorgung so dar, dass sie im Falle einer behandlungsbedürftigen Erkrankung ihren Haus- oder Facharzt aufsuchen, dort ihre Versichertenkarte vorlegen (und ggf. eine gesetzlich vorgesehene Zuzahlung bzw. einen Eigenanteil leisten) und sodann die erforderliche ärztliche Behandlung erhalten. Mit der Vergütung des im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), in dem das Recht der GKV geregelt ist, als Vertragsarzt bezeichneten – über eine Zulassung der Kassenärztlichen Vereinigung verfügenden – Arztes haben die Versicherten nichts zu tun. Sie spielt sich im Verhältnis zwischen dem Vertragsarzt und der Krankenkasse, deren Mitglied der oder die Versicherte ist und an die er oder sie seine monatlichen Beiträge zahlt, ab. Dieses Vergütungsverhältnis zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse ist im Vierten Kapitel des SGB V im einzelnen ausgestaltet und sieht im Grundsatz eine gemeinsame Selbstverwaltung der durch die Kassenärztliche Vereinigung vertretenen Ärzte und der Krankenkassen vor. Folge dieses Selbstverwaltungsprinzips ist, dass der Gesetzgeber im Vierten Kapitel des SGB V sich darauf beschränkt hat, die großen Leitlinien vorzugeben, innerhalb derer sich das (Vergütungs-) Verhältnis zwischen Vertragsärzten als sogenannten Leistungserbringern auf der einen und den Krankenkassen auf der anderen Seite entfaltet. Damit die Selbstverwaltungsakteure das zwischen ihnen bestehende Rechtverhältnis bis in seine Details hinein möglichst rechtssicher ausgestalten können, enthält das SGB V insoweit zahlreiche Ermächtigungsnormen, auf deren Grundlage Ärzte bzw. die Kassenärztliche (Bundes-) Vereinigung und die Krankenkassen sogenannte Normverträge miteinander schließen können, die insbesondere auch die von den Krankenkassen an Vertragsärzte zu zahlenden Honorare mit rechtsverbindlicher Wirkung regeln. Ausdrücklich vorgeschrieben durch das SGB V sind beispielsweise der auf Bundesebene abzuschließende Bundesmantelvertrag für Ärzte, der Einheitliche Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) und der Vertrag über ambulantes Operieren im Krankenhaus (AOP-Vertrag), der insbesondere auch eine einheitliche Vergütung für Krankenhäuser und Vertragsärzte für solche Operationsleistungen vorsehen soll. Auch im Rahmen dieses von den Selbstverwaltungspartnern im Wege von Normverträgen selbst gesetzten Rechts kommt es nicht selten zu Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten zwischen Vertragsärzten und Krankenkassen über die Höhe der dem Vertragsarzt für eine bestimmte Behandlung eines Versicherten konkret zustehenden Vergütung. Die Aufgabe, diesen Streit zu entscheiden, fällt nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Sozialgerichten zu.

Der Fall

Bei einem Versicherten war der Innenmeniskus, also der aus Faserknorpel bestehende, mittig zwischen Oberschenkelknochen und Schienbein sitzende Bestandteil des Kniegelenks, eingerissen. Dieser Riss vergrößerte sich und ein Teil des Knorpelgewebes „klappte“ in das Gelenk, worauf sich ein sogenannter Korbhenkel bildete, der die Beugung oder Streckung des Kniegelenks immer wieder blockierte (Innenmeniskuskorbhenkelriss). Der Vertragsarzt nahm eine arthroskopische ambulante Operation bei dem Versicherten vor, in deren Verlauf der „weggeklappte“ Meniskusteil an seinem ursprünglichen Platz mit zwei sogenannten Naht-Ankern refixiert wurde (partielle Innenmeniskusrefixation). Diese Naht-Anker verblieben nach der Operation – dauerhaft – im Kniegelenk des Versicherten. Für dieses implantierte Nahtmaterial stellte der Arzt der beklagten Krankenkasse des Versicherten 1.253,07 EUR in Rechnung. Die Krankenkasse lehnte die Übernahme dieser Kosten ab und vergütete den Arzt auf Grundlage der Bestimmungen des EBM-Ä und führte diesem gegenüber aus, dass in den dort geregelten Pauschalbeträgen auch die Kosten für OP-Material enthalten seien, weshalb eine gesonderte Vergütung in Höhe der Kosten für die Naht-Anker nicht erfolgen könne. Dem Widersprach der Arzt unter Verweis darauf, dass im Körper verbleibende Implantate von der im EBM-Ä enthaltenen Sachkostenpauschale nicht umfasst seien. Die Krankenkasse berief sich daraufhin auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS), nach dem eine Meniskusrefixation mittels des im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangten sogenannten Fast-Fix-Ankersystems auf bestimmte Krankheitsbilder des Meniskusschadens (insbesondere die Hinterhornläsion) beschränkt bleiben sollte. Bislang seien weder ein signifikant höherer Patientennutzen noch eine medizinische Überlegenheit von Fast-Fix-Ankersystemen gegenüber den herkömmlichen Nahttechniken belegt. Vor diesem Hintergrund weigerte sich die Krankenkasse weiterhin, die Kosten für die Naht-Anker zu übernehmen. Bei dieser Haltung blieb die Krankenkasse auch nach Zugang eines weiteren Schreibens des Arztes, in dem dieser dargelegt hatte, dass die Verwendung der Naht-Anker für den Versicherten einen erheblichen Vorteil bewirkt habe. Denn nur aufgrund der Verwendung dieses Nahtmaterials sei es möglich gewesen, die Operation arthroskopisch und mithin ohne zusätzliche Öffnung des Gelenks durchzuführen. Wäre – nach herkömmlicher Methode – ein zusätzlicher Operationszugang im Bereich der Kniekehle geschaffen und der Meniskus mittels Handnaht refixiert worden, hätte das für den Versicherten ein gesteigertes Komplikationsrisiko in Form möglicher Verletzungen der großen Gefäße oder auch von Nerven bedeutet. Aufgrund der ablehnenden Haltung der Krankenkasse verklagte der Arzt diese vor dem Sozialgericht.

Die Entscheidung

Das Sozialgericht gab der Klage statt und verurteilte die Krankenkasse zur Zahlung der von dem Arzt im Zusammenhang mit der Verwendung der Naht-Anker geltend gemachten gesonderten Vergütung in Höhe von 1.253,07 EUR. Dabei stellte das Sozialgericht zunächst fest, dass im EBM-Ä zwar eine Gebührenposition für eine Kostenpauschale für im Zusammenhang mit Operationen anfallende Materialkosten (in Höhe von 200,00 EUR) enthalten sei, dass die Kosten für die im vorliegenden Fall verwendeten Naht-Anker aber nicht dieser Sachkostenpauschale unterfielen. Denn da dieses Nahtmaterial dauerhaft im Körper des Versicherten verbleibt, handele es sich um Implantate, für die eine Sonderregelung im AOP-Vertrag bestehe, nach der die Kosten für die Verwendung von Implantaten nach dem konkreten Aufwand des Arztes erstattet würden. Die Verwendung der Naht-Anker im Rahmen der Innenmeniskusoperation durch den Arzt entspreche auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot und der medizinischen Notwendigkeit. Diese Feststellung traf das Sozialgericht auf Grundlage eines bereits vorgerichtlich von dem Arzt der Krankenkasse zugeleiteten gemeinsamen Stellungnahme des Berufsverbandes für Arthroskopie, der Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie und der Berufsverbände der Deutschen Chirurgen sowie der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie. Nach den dortigen Ausführungen entspreche das von dem klagenden Arzt gewählte Prozedere zur Behandlung des Innenmeniskuskorbhenkelrisses dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft. Insbesondere sei durch die Verwendung des Fast-Fix-Anker-Systems für den Versicherten die Gefahr von Gefäß- oder Nervenverletzungen geringer als bei der konventionellen Methode. Eine Operation nach herkömmlicher Nahttechnik hätte zudem einen stationären Krankenhausaufenthalt des Versicherten erforderlich gemacht. Auch sei die Dauer der durchgeführten OP geringer gewesen, weil für den nach herkömmlicher Operationsmethode erforderlich gewesenen Eingriff durch die Kniekehle der Kapsel-Band-Apparat des Kniegelenks hätte durchtrennt werden müssen. Schließlich könne der Versicherte wegen der geringeren Invasivität des Eingriffs auch früher mit den anschließenden Rehabilitationsmaßnahmen (Krankengymnastik) beginnen.

Das Recht

Das von den Ärzten bzw. ihrer Vereinigung sowie den Krankenkassen, in eigener Verantwortung im Wege des Abschlusses von Normverträgen geschaffene Recht muss dem – höherrangigen – Gesetzesrecht (hier also insbesondere dem SGB V) genügen. Die Selbstverwaltungspartner konkretisieren in den von ihnen vereinbarten Normverträgen lediglich die ihnen vom Gesetzgeber gemachten Vorgaben. Daher ist auch im Rahmen der Normverträge die in § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V enthaltene Anforderung an Leistungen der GKV zu beachten: Danach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen in der GKV dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Nach § 12 Abs. 1 SGB V gilt für die Leistungen der GKV andererseits auch ein Wirtschaftlichkeitsgebot: Die Leistungen der GKV müssen ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Diese Vorgaben greift § 44 Abs. 5 des hier einschlägigen Bundesmantelvertrages für Ärzte auf. Danach werden Kosten für Materialien, die gemäß Ziff. 7.3 der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM-Ä nicht in den berechnungsfähigen Leistungen enthalten sind, gesondert abgerechnet, wobei der Vertragsarzt diese gesondert abrechnungsfähigen Materialien „unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots und der medizinischen Notwendigkeit“ auszuwählen hat. Das Sozialgericht konnte hier die medizinische Notwendigkeit der Verwendung der Naht-Anker ebenso wie die Wirtschaftlichkeit des Einsatzes dieses Nahtmaterials ohne weitere medizinische Ermittlungen – insbesondere ohne Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens – bejahen. Die Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 44 Abs. 5 des Bundesmantelvertrages für Ärzte – nämlich, dass der Einsatz von Operationsmaterial durch den Arzt nicht bereits in den nach dem EBM-Ä abrechnungsfähigen Leistungen enthalten ist – folgte hier aus der Regelung in Ziff. 7.3 der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM-Ä. Denn danach gehören Gegenstände, die der Kranke zur weiteren Verwendung erhält, zu den nicht in den Gebührenordnungspositionen des EBM-Ä enthaltenen Kosten. Die Naht-Anker, bei denen es sich um im Körper des Versicherten verbleibende Implantate handelt, zählen zu solchen Gegenständen, die der Kranke im Sinne der Ziff. 7.3 der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM-Ä zur weiteren Verwendung erhält. Der Arzt konnte die Kosten für den Einsatz der Naht-Anker deshalb gesondert gegenüber der Krankenkasse abrechnen.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link:

Datenschutz

Auswahl bestätigen

Mastodon