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Thema : Atomausstieg

Fragen und Antworten zur Freigabe und Herausgabe von Stoffen, die aus der Atomaufsicht entlassen werden können

Letzte Aktualisierung: 08.12.2020

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1. Die Strahlenbelastung des Menschen stammt hauptsächlich aus Röntgengeräten und Atomkraftwerken – stimmt das eigentlich?

Jeder Mensch ist jederzeit und an jedem Ort auf der Welt radioaktiver Strahlung, der "natürlichen Strahlenexposition", ausgesetzt. Hierzu gehört zunächst die kosmische Strahlung, die auf den Urknall und z.B. kosmische Objekte zurückzuführen ist. Hier hängt die Einwirkung auf den Menschen von der Höhenlage ab, in der er lebt bzw. sich aufhält. Deshalb erhöhen z.B. Flugreisen die Strahlenbelastung des Reisenden.

Außerdem gibt es die terrestrische Strahlung. Damit ist die Strahlung gemeint, die aus Böden und Gesteinen der Erdkruste kommt – auch hier hängt die Einwirkung auf den Menschen vom jeweiligen Aufenthaltsort ab. Diese Strahlung wird entsprechend auch von mineralischem Baumaterial wie z.B. Beton, Granit, Sand- oder Kalkstein, Ton, Kies etc. abgegeben. Alle diese Materialien enthalten natürliche radioaktive Stoffe, so dass es auch hier kaum denkbar ist, dieser Strahlung zu entgehen.

Hinzu kommen radioaktive Stoffe im Körper, die eine innere, körpereigene Strahlung verursachen. Auch Nahrungsmittel enthalten radioaktive Stoffe, die beim Essen oder Trinken mit aufgenommen werden.

Bereits aus diesen hier aufgeführten Quellen resultiert für einen in Deutschland lebenden Menschen eine – mehr oder weniger unentrinnbare - durchschnittliche Strahlenbelastung von 2.100 Mikrosievert pro Jahr (zu dem begriff "Mikroserviert" näheres unter 3.).

Zur "zivilisatorischen Strahlenexposition" gehören andererseits die künstlichen radioaktiven Stoffe aus Kernwaffenversuchen, den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki oder z.B. dem Reaktorunfall von Tschernobyl. Diese Stoffe wurden und werden – je nach Aufenthaltsort – mit der Atemluft und z.T. auch über die Nahrungskette aufgenommen.

Hinzu kommt die medizinische Strahlung aus Röntgendiagnostik oder Strahlentherapie. Dieser Strahlung könnte der Mensch zwar am ehesten entgehen. Die Frage ist nur, ob dies per Saldo der Gesundheit dienen oder eher schaden würde.

Außerdem ist die Strahlenexposition aus technischer Anwendung zu betrachten. Hierzu gehört z.B. die Strahlung, die bei der Untersuchung des Handgepäcks auf Flughäfen entsteht. Auch sog. Ionisationsrauchmelder enthalten radioaktive Stoffe. Zudem wird in Industrie und Forschung mit radioaktiven Stoffen umgegangen.

Und schließlich ist der Betrieb von Kernkraftwerken zu nennen – der Betrieb und der anschließende Umgang mit der hieraus resultierenden Strahlung. Es spielt keine Rolle, ob jemand für oder gegen die Nutzung von Kernenergie zur Stromerzeugung war bzw. ist. Jedenfalls steht fest, dass es keine Alternative dazu gibt, mit den radioaktiven Hinterlassenschaften so sorgfältig umzugehen, dass keine Gesundheitsgefahren entstehen.

2. Was ist die Freigabe?

Die Freigabe ist ein Verfahren, nach dem Stoffe aus dem Bereich der Atomaufsicht entlassen werden können. Hierzu muss nachgewiesen werden, dass von ihnen eine zu vernachlässigende Strahlung ausgeht. Unter Ziffer 1 wurde bereits ausgeführt, dass wir in unserer Umgebung überall Strahlung messen können und die meisten Stoffe, insbesondere Beton, (natürliche) Radioaktivität enthalten. In einem Kontrollbereich werden per se alle Stoffe zunächst als radioaktiv klassifiziert, auch wenn sie nie mit Radioaktivität in Berührung gekommen sind.

Die Freigabe und deren Umsetzung sind komplex und basieren auf dem Atomgesetz und der Strahlenschutzverordnung:

Radioaktive Stoffe sowie bewegliche Gegenstände, Gebäude oder Gebäudeteile, Bodenflächen, Anlagen oder Anlagenteile können unter bestimmten Voraussetzungen aus der atomrechtlichen Überwachung zur Verwertung, Verwendung, Beseitigung oder zur Weitergabe an einen Dritten als nicht radioaktiver Stoff entlassen werden. Dies erfolgt durch die Freigabe (Verwaltungsakt) gemäß § 33 der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) bei Unterschreitung der Freigabewerte und weiterer Anforderungen und Randbedingungen der StrlSchV entsprechend des Teil 2 Kapitel 3 StrlSchV. Bei der Freigabe wird unterschieden zwischen der uneingeschränkten Freigabe von festen und flüssigen Stoffen, der spezifischen Freigabe von Bauschutt und Bodenaushub, von Bodenflächen, von Gebäuden zur Wieder-, Weiterverwendung, der spezifischen Freigabe zur Beseitigung auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen, der spezifischen Freigabe von Gebäuden zum Abriss oder von Metallschrott zur Rezyklierung. Auch eine gesondert zu beantragende Freigabe im Einzelfallverfahren ist in einem gesonderten Nachweisverfahren möglich. Die freigegebenen Stoffe unterliegen den Bestimmungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes.

Radioaktive (Rest)-Stoffe sind durch den jeweiligen Genehmigungsinhaber schadlos zu verwerten oder geordnet zu beseitigen. Dies kann insbesondere nach einer Freigabe gemäß § 33 Strahlenschutzverordnung erfolgen. Im Rahmen des atomrechtlichen Aufsichtsverfahrens ist auf Basis von Aktivitätsmessungen für jedes konkret vorliegende Material nachzuweisen, dass eine Aktivität entsprechend der Vorgaben und Regelungen der StrlSchV zu vernachlässigen ist und eine Entlassung aus der Aufsicht als "nicht radioaktiver Stoff" erfolgen kann.

Eine Aktivität ist nach den Vorgaben der StrlSchV zu vernachlässigen, wenn die erwartete jährliche Individualdosis von Personen der allgemeinen Bevölkerung, die von den freigegebenen Stoffen verursacht wird, im Bereich von 10 Mikrosievert oder weniger (10 Mikrosievert-/‘de minimis‘-Konzept) und damit weit unter der natürlichen Strahlenexposition liegt.

Zu jeder Materialcharge aus dem Kontrollbereich, die das Kernkraftwerksgelände nach Abschluss des Freigabeverfahrens verlässt, bzw. zu jedem Gebäudeteil, das zum Abriss freigegeben wird, ist gemäß einem Verfahren, dem die Atomaufsicht zuvor zustimmen muss, der messtechnische Nachweis zu erbringen, dass die Freigabewerte der Strahlenschutzverordnung eingehalten werden. Hierbei wird jeweils der Stand von Wissenschaft und Technik berücksichtigt.

Erst wenn dieser Nachweis vollständig geführt ist - und durch von der Atomaufsicht zugezogene Sachverständige – auch auf Basis von Kontrollmessungen - bewertet worden ist, wird die Atomaufsicht die Freigabe für eine konkret vorliegende Materialmenge erteilen.

Da die Freigabe ein Verwaltungsakt gemäß § 33 StrlSchV ist, hat die Behörde bei der Erteilung der Freigabe keine Wahl: Wenn alle Voraussetzungen vorliegen, ist die Freigabe zu erteilen.

3. Es wird immer wieder über Mikrosievert gesprochen. Was ist damit gemeint?

Zur Bewertung der biologischen Wirkung, dem Risiko von Radioaktivität für den Menschen, für Tiere und Pflanzen, wurden im Strahlenschutz verschiedene Dosisgrößen eingeführt. In den meisten Fällen wird bei der Verwendung des Begriffs Dosis von der effektiven Dosis gesprochen. Die Maßeinheit der Dosis ist Sievert. Ein Sievert effektive Dosis stellt ein Joule abgegebene Energie in einem Kilogramm Körpergewebe dar, wobei die Wirkungen der verschiedenen Strahlungsarten auf den ganzen Körper dabei berücksichtigt werden. Ein Mikrosievert ist ein Millionstel eines Sieverts. Im Durchschnitt beträgt die natürliche jährliche Strahlenexposition von Einzelpersonen der Bevölkerung in Deutschland aufgrund natürlicher Strahlenquellen (kosmische, terrestrische, innere und äußere Strahlung, Einatmen des Edelgases Radon) 2,1 Millisievert (2.100 Mikrosievert). Die Abbildung zeigt Dosisbeispiele durch die Exposition mit verschiedenen natürlichen und künstlichen Strahlenquellen.

Grafik zur Strahlenbelastung in unterschiedlichen Lebensbereichen
Grafik zur Strahlenbelastung in unterschiedlichen Lebensbereichen

4. Wer erteilt die Freigabe und kann die Freigabe verweigert werden?

Die Freigabe ist ein Verwaltungsakt, der von der Atomaufsichtsbehörde erteilt wird. Freigaben können nicht verweigert werden, wenn die Anforderungen der Strahlenschutzverordnung eingehalten werden. Dann ist auch das 10-Mikrosievert-Konzept eingehalten. Die Aufsichtsbehörde ist an geltendes Recht gebunden.

5. Was bedeutet die uneingeschränkte Freigabe?

Nach Erteilung der uneingeschränkten Freigabe können Stoffe wie z.B. Metalle völlig ohne strahlenschutzrelevante Einschränkungen gehandhabt, benutzt, weitergegeben oder verarbeitet werden. Die abfallrechtlichen Randbedingungen an bestimmte Entsorgungswege sind hiervon unberührt, so dass Abfälle, die nicht recyclingfähig sind und Abfälle mit Schadstoffen (z.B. Dämmmaterialien, Asbest, belasteter Bauschutt) letztlich auf Deponien oder in Müllverbrennungsanlagen beseitigt werden müssen.

6. Was ist unter spezifischer Freigabe zu verstehen?

Die spezifische Freigabe ist gekoppelt an spezifische Randbedingungen bzw. Entsorgungswege. Dabei kann es sich z. B. um das Abreißen von Gebäuden, das Einschmelzen von Metall oder das Deponieren oder Verbrennen handeln. Erst bei Beachtung dieser Voraussetzungen ist auch tatsächlich das sogenannte 10-Mikrosievert-Konzept eingehalten. An die Entsorgungsbetriebe sind jeweils unterschiedliche Anforderungen zu stellen, z.B. Deponiegröße, Verbrennungsdurchsatz, Menge an zusätzlich einzuschmelzendem Material, die vor Freigabe abgeprüft werden.

7. Was bedeutet Herausgabe?

Für die Materialien, die von einer Genehmigung nach z.B. § 7 Atomgesetz umfasst sind, die aber weder radioaktiv kontaminiert noch aktiviert sind, wird für die Entlassung aus diesem Regime der Begriff der Herausgabe verwendet. Mit dem Verfahren der Herausgabe wird sichergestellt, dass es für Materialien, die nicht unter die Strahlenschutzverordnung fallen und für die damit die Anforderungen der Freigabe nicht gelten, dennoch ein von der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde festgesetztes Verfahren gibt, das den Weg aus der atomrechtlichen Überwachung regelt. Damit wird sichergestellt, dass z. B. Gebäude, die auf dem Gelände eines Kernkraftwerkes stehen, aber keinen unmittelbaren Zusammenhang mit diesem haben (etwa Kantine), frei von z.B. Kontaminationen oder Aktivierung aus dem Anlagenbetrieb sind. Sollten im Rahmen des Herausgabeverfahrens z. B. Kontaminationen festgestellt werden, käme eine Herausgabe nicht mehr in Betracht, sondern die Stoffe müssten als radioaktive Reststoffe behandelt werden.

Es können nur solche nicht radioaktiven, kontaminations- und aktivierungsfreien Stoffe, bewegliche Gegenstände, Gebäude, Bodenflächen und Anlagenteile herausgegeben werden, die zu keinem Zeitpunkt Bestandteil eines Kontrollbereiches waren. Die Kontaminations- und Aktivierungsfreiheit ist zusätzlich durch beweissichernde Messungen zu bestätigen.

8. Was ist die Grundlage für die Herausgabe?

Das "Handbuch Reaktorsicherheit und Strahlenschutz" des Bundes enthält in Kapitel 3-73 einen Stilllegungsleitfaden. In diesem ist die Herausgabe beschrieben. Sie ist demnach in den Antragsunterlagen und der Genehmigung zu beschreiben und entsprechend umzusetzen, was von der Atomaufsichtsbehörde überwacht wird. Dadurch ist sichergestellt, dass die Strahlenschutzverordnung nicht umgangen oder ausgehöhlt wird. Die Herausgabe ist keine vereinfachte Freigabe, sondern hat einen anderen Regelungsbereich, nämlich den der nicht radioaktiven, nicht kontaminierten und nicht aktivierten Stoffe.

9. Was wird mit dem nicht radioaktiv belasteten Bauschutt passieren? Wie und wo wird dieses Material entsorgt bzw. verarbeitet werden?

Reststoffe und Abfälle mit zu vernachlässigender bzw. keiner Aktivität müssen nicht als radioaktiver Abfall zwischen- und endgelagert werden. Sie machen den weitaus überwiegenden Anteil der Gesamtmasse eines Kernkraftwerkes aus und können, falls sie aus dem Kontrollbereich stammen und demnach Kontamination oder Aktivierung aufweisen können, nach § 33 Strahlenschutzverordnung freigegeben oder, falls sie nur aus dem Überwachungsbereich stammen und demnach grundsätzlich keine Kontamination oder Aktivierung aufweisen, nach einem gesonderten Herausgabeverfahren aus der Atomaufsicht entlassen werden und unterliegen dann dem Regime des Abfallrechts. Hier kommt dann die Wiederverwendung (z.B. Metalle aus der uneingeschränkten Freigabe), Rezyklierung (z.B. Bauschutt aus der uneingeschränkten Freigabe) sowie z.B. Deponierung oder Verbrennung (z.B. spezifische Freigabe von Bauschutt oder Öl zur Beseitigung) in Betracht.

Die Sensibilität in der Bevölkerung aber auch bei Betreibern von Entsorgungsunternehmen freigegebene Stoffe betreffend ist sehr hoch. Gleichzeitig ist aber auch die Freigabe aufgrund der großen Mengen nicht belasteten Materials eine Voraussetzung für die Stilllegung und den sofortigen Abbau der Kernkraftwerke. Das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume bzw. jetzt das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (MELUND) hat sich daher entschlossen, die Betreibergesellschaften der Kernkraftwerke und die öffentlich-rechtliche und private Entsorgungswirtschaft mit den Herausforderungen der Entsorgung dieser Stoffe nicht alleine zu lassen. Das Ministerium unterstützt die Beteiligten bei der Suche nach gesicherten, regionalen Entsorgungslösungen, um dauerhaft die Entsorgung dieser unbedenklichen Abfälle sicherzustellen. Dieser Prozess wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen (s.u.).

10. Sind alle Abfälle aus Kernkraftwerken als radioaktive Stoffe anzusehen?

Nein. Für den Umgang mit Reststoffen und Abfällen aus dem Rückbau eines Kernkraftwerks gibt es drei Varianten, wobei sich die Mengenangaben der jeweils zu entsorgenden Massen je nach Anlage auch variieren können und erst am Ende des Abbaus feststehen:

  1. Ca. 0,7 – 3 % des Materials müssen als radioaktive Abfälle in atomrechtlich genehmigten Lagerstätten zwischen- bzw. endgelagert werden.
  2. Weitere ca. 2% sind nach Entlassung aus der atomrechtlichen Überwachung durch Freigabe in konventionellen Deponien oder Verbrennungsanlagen zu entsorgen, weil dem Material zwar Radioaktivität anhaftet, jedoch nur eine so geringe, dass das sog. 10-Mikrosievert-Konzept problemlos eingehalten werden kann.
  3. Die übrigen über 95% können aus der atomrechtlichen Überwachung mittels Frei- bzw. Herausgabe entlassen und weiter- bzw. wiederverwendet werden, es sei denn, das Material muss aus abfallrechtlichen Gründen konventionell deponiert oder verbrannt werden.

11. Was ist die rechtliche Basis für die Entsorgung?

Die rechtliche Basis bildet das Atomgesetz und insbesondere die Strahlenschutzverordnung mit der geregelt wird, wie Stoffe aus der Strahlenschutzüberwachung entlassen, d.h. freigegeben werden und als nicht radioaktiver Stoff genutzt und entsorgt werden können (s.o.). Dies ist basierend auf der EU-Grundnorm das so genannte 10-Mikrosievert-Konzept:

"Die zuständige Behörde erteilt die Freigabe, wenn das Dosiskriterium für die Freigabe eingehalten wird. (§ 33 Absatz 1 StrlSchV)"

Das Dosiskriterium ist gemäß § 31 Absatz 2 StrlSchV wie folgt definiert:

"Dosiskriterium für die Freigabe ist, dass für Einzelpersonen der Bevölkerung durch die freizugebenden Stoffe und Gegenstände nur eine effektive Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert im Kalenderjahr auftreten kann."

Von großer Bedeutung ist hierbei Absatz 1 des § 41 StrlSchV, nach dem die Behörde das Verfahren zur Freigabe festlegen kann; so z.B. eine vorlaufende Qualifizierung von Entsorgungsanlagen.

12. Der Atommüll sollte doch eigentlich in die Zwischenlager und schließlich in die Endlager. Warum wird jetzt Atommüll auf unsere Deponien gebracht?

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sämtliche radioaktiven Abfälle aus dem Rückbau der Kernkraftwerke in besonderen Zwischenlagern an den Standorten der Kernkraftwerke verbleiben, bis annahmebereite Endlager zur Verfügung stehen. Für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle müssen dabei z.T. neue Lager errichtet werden (z.B. LasmA – Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle – in Brunsbüttel. Es geht hier keineswegs darum, "Atommüll" auf Deponien zu bringen, auch nicht die schwach radioaktiven Abfälle.

Bei den Abfällen, die auf Deponien gehen sollen, geht es ausschließlich um nach Atomgesetz nicht radioaktive Abfälle: Immer wenn eine große Industrieanlage nach Betriebsbeendigung abgebaut wird, muss ein geringer Teil des Materials als nicht verwertbarer Bauschutt einer Abfalldeponie zugeführt werden. Das ist bei Kernkraftwerken nicht anders. Bei Kernkraftwerken muss dieses Material aber zusätzlich ein "Freigabeverfahren" durchlaufen. Denn nur "Abfälle mit keiner oder zu vernachlässigender Aktivität" dürfen auf eine Deponie gelangen. Es muss sich also um Material mit so geringer Aktivität handeln, dass diese in der ohnehin vorhandenen, unentrinnbaren Umweltradioaktivität praktisch "untergeht" und gar nicht für sich genommen identifiziert werden kann.

Es können also Stoffe aus der uneingeschränkten Freigabe aus rein abfallrechtlicher Anforderung auf eine Deponie kommen (uneingeschränkte Freigabe von z.B. asbesthaltigen Stoffen) sowie nur zur Deponierung spezifisch freigegebene Stoffe.

13. Wieviel Strahlung bekomme ich als Anwohner in der Nähe der Deponie zusätzlich ab?

Die gesamte natürliche Strahlenexposition in Deutschland beträgt nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz durchschnittlich 2.100 Mikrosievert pro Jahr. Je nach Aufenthaltsort und persönlichen Lebensumständen (z.B. Röntgenuntersuchungen, Tabakkonsum) schwankt der tatsächliche Wert zwischen etwa 1.000 und mehr als 10.000 Mikrosievert pro Jahr. Zur Einordnung des international anerkannten, bundesweit gültigen 10-Mikrosievert-Konzepts dürfte die Grafik in der Antwort auf Frage 3 ganz anschaulich sein.

14. Wie wird die Öffentlichkeit eigentlich beteiligt?

Die für die atomrechtlichen Aufsichts- und Genehmigungsverfahren zuständige Abteilung des MELUND hat insbesondere im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Stilllegung und zum Abbau des Kernkraftwerks Brunsbüttel (Erörterungstermin war im Juli 2015) etliche Einwendungen und Anregungen insbesondere zur Entsorgung erhalten und mit Einwendern diskutiert. Vorlaufend wurde an Veranstaltungen genau zu diesem Thema teilgenommen. Auch in den folgenden Erörterungsterminen zur Stilllegung und zum Abbau der Kernkraftwerke Krümmel und Brokdorf sowie zum Forschungsreaktor Geesthacht wurden diese Aspekte diskutiert.

In der Folge des Erörterungstermins KKB und in Vorbereitung der Stilllegung und des Abbaus wurden etliche auch öffentliche Termine durch die Fachebene (Atomrecht, Strahlenschutz und Abfallrecht) des Ministeriums wahrgenommen. Hierzu gehörten Vorträge und Erörterungen zu unterschiedlichen Terminen und Veranstaltungen (z.B. Sitzung umweltpolitischer Sprecher der Landtagsfraktionen, Sitzung des Landesvorstandes des Gemeindetages, Gespräch mit Umwelt- und Naturschutzverbänden, Gespräche mit Ausschüssen und Fraktionen interessierter Gebietskörperschaften, Gespräch mit Bürgermeistern, öffentliche Veranstaltungen in den Gemeinden, Durchführung einer Fortbildungsveranstaltung im Bildungszentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume).

15. Was hat es mit der "Arbeitsgruppe Entsorgung freigegebener Abfälle" auf sich, die in Schleswig-Holstein gebildet worden ist?

Im Juli 2018 stellte das MELUND der Öffentlichkeit den Abschlussbericht der "Arbeitsgruppe Entsorgung freigegebener Abfälle" vor. Das Ministerium hatte diese Arbeitsgruppe gemeinsam mit Umweltverbänden, kommunalen Landesverbänden, Entsorgungsunternehmen und Kernkraftwerksbetreibern ins Leben gerufen. Ziel der Arbeitsgruppe war es, die verschiedenen in Rede stehenden Varianten zur Entsorgung zu beraten und zu bewerten. Es war nicht das Ziel, einen Deponiestandort zu finden, sondern einen gemeinsamen Bericht zu verfassen, der das weitere Vorgehen bei der Entsorgung freigegebener Abfälle erleichtern könnte. Allerdings gibt es zu dem Abschlussbericht einige abweichende Voten des BUND, was z. B. die Lagerung von "zur Deponierung freigegebenen Abfallen" angeht. Der Hintergrund der Bildung der Arbeitsgruppe war folgender gewesen:

Im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie wird in der Bundesrepublik Deutschland das Ziel verfolgt, die Kernkraftwerke nach und nach stillzulegen und vollständig zurückzubauen. Wesentliche Voraussetzung eines vollständigen Rückbaus ist die Gewährleistung der Verwertung bzw. Beseitigung der bedeutenden Massen an Reststoffen und Abfällen mit zu vernachlässigender bzw. keiner Aktivität, die aus der Atomaufsicht entlassen sind. Dies betrifft Stoffe, die von dem Gelände des Kernkraftwerks kommen (Herausgabe der Stoffe) und solche, die aus dem Kernkraftwerk selbst kommen (uneingeschränkt freigegebene sowie zur Verbrennung oder Deponierung freigegebene Stoffe). Unberührt bleiben radioaktive Abfälle und Reststoffe; diese werden speziellen Zwischenlagern zugeführt und dort aufbewahrt, bis dafür aufnahmebereite Endlager zur Verfügung stehen. Diese radioaktiven Abfälle und Reststoffe hatte die Arbeitsgruppe nicht in den Blick genommen.

Die größten Massenströme werden in jedem Kernkraftwerk nach heutigen Schätzungen erst ca. 10 bis 15 Jahre nach Erteilung der Abbaugenehmigung anfallen, wenn die Gebäude aus dem Atomrecht entlassen sind. Geringere Massen entstehen aber seit Jahren und sind auch während des Nachbetriebs und der ersten Rückbauphasen zu erwarten. Gegen die Rückführung dieser Abfälle in den Wirtschaftskreislauf oder ihre Deponierung werden aufgrund ihrer Herkunft aus einer kerntechnischen Anlage immer wieder Bedenken geäußert, die zum Teil auch zu Unterbrechungen der Entsorgungspfade, zum Transport auf weit entfernte Deponien und zu ungeplanten „Pufferlagerungen“ an den Standorten kerntechnischer Anlagen geführt haben und die in der Konsequenz zu Unterbrechungen von Rückbauprojekten führen können.

Die kritische Haltung in Teilen der Öffentlichkeit hat darüber hinaus dazu geführt, dass auch die Betreiber von Deponien der Annahme von Abfällen aus Atomkraftwerken zunehmend reservierter gegenüberstanden. Dieses Problem betrifft im Prinzip alle Bundesländer. Der Abschlussbericht der in Schleswig-Holstein gebildeten Arbeitsgruppe greift die Bedenken auf und soll einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion um Abfälle mit keiner oder zu vernachlässigender Aktivität aus kerntechnischen Anlagen leisten, indem die Beteiligten die Beseitigungswege transparent machen und sich dabei auf Basis des geltenden Strahlenschutz- und Abfallrechts einem hohen Schutz- und Sicherheitsniveau verpflichten. Der Abschlussbericht soll deshalb für die gesamte Dauer des Rückbaus der drei schleswig-holsteinischen Kernkraftwerke und der Forschungsreaktoranlage in Geesthacht einen transparenten und verlässlichen Rahmen bieten und beschreibt übergeordnete Leitlinien sowie konkretisierende Grundsätze für die betroffenen Regelungsbereiche aus dem Strahlenschutzrecht und dem Abfallrecht.

Der Abschlussbericht der schleswig-holsteinischen Arbeitsgruppe ist hier einsehbar:

Entsorgung freigegebener Abfälle aus Kernkraftwerken - Abschlussbericht  (PDF, 157KB, Datei ist nicht barrierefrei)

Ein Papier, das den Prozess der Freimessung des Materials bis zur Deponierung im Hinblick auf das 10-Mikrosievert-Konzept detailliert aufbereitet, wurde im Juni 2018 von der Entsorgungskommission des Bundes vorgelegt:

Informationspapier "Freigabe radioaktiver Stoffe und Herausgabe nicht radioaktiver Stoffe aus dem Abbau von Kernkraftwerken" (PDF, 524KB, Datei ist nicht barrierefrei)

Die Entsorgungskommission ist ein Expertengremium, das die Bundesregierung in Entsorgungsfragen der kerntechnischen Anlagen berät.

Das Gremium begleitet als Begleitgruppe nun den weiteren Prozess der Entsorgung auf Deponien.

16. Wie ist der Stand der Qualifizierungen der Deponien in Schleswig-Holstein und wie geht es weiter?

Energiewendeminister Jan Philipp Albrecht hat am 9.9.2019 die Ergebnisse des vom MELUND in Auftrag gegebenen Gutachtens zur Deponierung freigegebener Abfälle aus Kernkraftwerken in Schleswig-Holstein vorgestellt. Demnach sind grundsätzlich alle sieben untersuchten Deponien (Wiershop, Lübeck-Niemark, Johannistal, Harrislee, Schönwohld, Großenaspe, Damsdorf/Tensfeld) für die Ablagerung entsprechender Abfälle geeignet. Aufgrund der unterschiedlichen Kapazitäten der Deponien hat das MELUND empfohlen, für die Ablagerung der Abfälle fortan nur noch die vier Standorte Wiershop, Lübeck-Niemark, Johannistal und Harrislee zu betrachten, da die Deponien Schönwohld, Großenaspe und Damsdorf/Tensfeld kurz vor der endgültigen Verfüllung stehen. Sie könnten perspektivisch die erwarteten Abfallmengen nicht aufnehmen.

Auf Basis der jetzt vorliegenden Qualifizierung der Deponien können die Betreiber der kerntechnischen Anlagen und die Entsorgungswirtschaft die tatsächliche Entsorgung von mineralischen Abfällen organisieren. Die Behörden werden den Prozess weiterhin intensiv begleiten. Ein Erfahrungsaustausch findet in einer Begleitgruppe statt.

Laut Gutachten sind die Deponien Wiershop bei Geesthacht, Lübeck-Niemark, Johannistal bei Heiligenhafen und Harrislee an der dänischen Grenze für die Annahme der Abfälle grundsätzlich geeignet. Die Sachverständigen haben die Größe, den Aufbau und die tatsächlichen Ablagerungsmengen der Deponien, die Abläufe im Umgang mit den Abfällen und die Behandlung der Sickerwässer und des dabei entstehenden Klärschlamms geprüft. Dabei wurden jeweils die Vor-Ort-Bedingungen mit denen einer Musterdeponie verglichen, die den rechtlichen Vorgaben der Strahlenschutzverordnung zugrunde liegt. Gesetzlicher Maßstab ist dabei das Dosiskriterium für die Freigabe, wonach für Einzelpersonen der Bevölkerung durch die freizugebenden Stoffe und Gegenstände nur eine effektive Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert im Kalenderjahr auftreten kann. Dieser Wert liegt weit unterhalb der natürlich in der Umgebung vorkommenden Strahlung und selbst innerhalb der Schwankungsbreite der natürlichen Strahlung innerhalb Schleswig-Holsteins.

Das wesentliche Ergebnis der Qualifizierung ist: Einzelne Aspekte der Musterdeponie wurden von den schleswig-holsteinischen Deponien übererfüllt. Andere Abweichungen waren näher zu betrachten. In dem genannten Gutachten kommen die Sachverständigen zu dem Ergebnis, dass entweder diese Umstände bereits jetzt vollständig kompensiert werden – so z.B. ein höherer Sickerwasseranfall durch eine größere Kläranlage – oder dass für die Deponie näher zu ermitteln ist, welche Art von Abfällen aus kerntechnischen Anlagen in welcher Menge angenommen werden können. Daraus können sich Einschränkungen in Bezug auf die jährlich deponierbaren Abfälle ergeben, was aber nicht die Nutzbarkeit als solche in Frage stellt. In dem Gutachten wurden Szenarien betrachtet, die über die bei der Entwicklung der Strahlenschutzverordnung berücksichtigten Szenarien hinausgehen.

Minister Albrecht sagte den Kommunen, Kraftwerksbetreibern und Deponieinhabern weiterhin seine Unterstützung zu: "Uns ist es wichtig, weiter mit allen Beteiligten in einem konstruktiven Austausch zu bleiben. Auch wenn am Ende Deponien und Kraftwerksbetreiber für die Lagerung der Abfälle verantwortlich sind, steht das Land weiterhin zu seiner Verantwortung, den Prozess ergebnisorientiert zu begleiten. Wir wollen ein klares Szenario, wie mit freigegebenen Abfällen aus Kernkraftwerken verfahren wird."

Soweit sich keine annahmebereite Deponie findet, kommt abfallrechtlich allerdings auch die Zuweisung freigegebener Abfälle an eine Deponie in Betracht Betracht (siehe Fragen und Antworten zu Stilllegung und Abbau der Kernkraftwerke Brunsbüttel, Krümmel und Brokdorf, Abschnitt C 3).

 17. Wie ist die durch die Ablagerung zu erwartende Belastung auf die Bevölkerung einzuordnen?

Jeder Mensch ist jeden Tag radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Er selbst "strahlt" mit durchschnittlich 300 µSv (Mikrosievert) pro Jahr aufgrund der Radioaktivität, die er in sich trägt, z.B. durch eingeatmetes Radon oder durch Kalium-40 und andere radioaktive Stoffe aus dem Verzehr von Nahrungsmitteln. Wer täglich zwei Paranüsse isst, steigert seinen „Jahreswert“ an körpereigener Strahlung nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz um bis zu 160 µSv. Die gesamte natürliche Strahlenexposition beträgt in Deutschland im Mittel 2100 µSv pro Jahr.

Da nahezu überall Radioaktivität vorhanden ist, muss eine Grenze definiert werden, ab der staatlicher Strahlenschutz beginnt bzw. endet, weil unter ihr das Risiko der Strahlung zu vernachlässigen ist. Das international gültige De minimis-Konzept definiert eine Dosis, bei der mögliche Risiken so gering sind, dass sie außerhalb eines Regulierungsbedarfs liegen. Die Grenze liegt bei einigen 10 µSv pro Jahr pro Einzelperson („Dosiskriterium“). Nähere Informationen hierzu hat die Entsorgungskommission des Bundes, die ESK, herausgegeben (s.o.)

Es gibt keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass dieses sogenannte 10-Mikrosievert-Konzept infrage zu stellen wäre. Die Freigabe muss durch die zuständige Atomaufsicht erteilt werden, wenn das Dosiskriterium eingehalten ist (§ 33 Strahlenschutzverordnung). Eine Freigabe kann dann nicht verweigert werden. Freigabefähige Stoffe dürfen nicht als radioaktive Stoffe in einem Endlager entsorgt werden. Im Rahmen der "Qualifizierung" wird konkret bewertet, ob eine Deponie alle Anforderungen erfüllt, um das Dosiskriterium sicher einzuhalten.

18. Ist auf den Deponien eigentlich ausreichend Platz für die zur Deponierung freigegebenen Abfälle?

Pro Jahr werden in Schleswig-Holstein etwa 800.000 t Abfall auf Deponien der Klassen I und II entsorgt. Die freien Deponiekapazitäten DK I und II betragen in Schleswig-Holstein derzeit etwa vier Millionen m³. Aus der spezifischen Freigabe zur Deponierung fällt je Kernkraftwerk nur etwa 1% der Gesamtmasse an, beim Kernkraftwerk Brunsbüttel nach Angaben der Betreibergesellschaft etwa 2.900 t, und dies insgesamt über ca. 15 bis 20 Jahre verteilt. Dies entspräche ca. 150 LKW à 20 t, d.h. im Mittel unter 10 LKW pro Jahr. Es stehen demnach ausreichend Kapazitäten zur Verfügung. Die zu entsorgenden Massen aus diesen Freigaben sind gegenüber den ohnehin zur Entsorgung anstehenden Abfällen zu vernachlässigen. Da eine genaue Abschätzung der zur Deponierung anstehenden Mengen nicht möglich ist, können sich die Mengen während des Abbaus auch verändern. Eine genaue Massenangabe kann man daher erst am Ende des Abbaus ermittelt haben. Aber selbst wenn sich die abgeschätzten Massen zur Deponierung am Ende verdoppelt oder verdreifacht haben, sind diese Mengen im Vergleich zu den ohnehin zur Deponierung anstehenden Abfällen zu vernachlässigen, zumal das Kriterium des 10-µSv-Konzeptes immer eingehalten ist.

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