Mit einem Fischkutter fährt eine Gruppe Handwerker am 1. März 1952 bei hartem Nordostwind nach Helgoland. Es ist der Tag, an dem die Briten die verwüstete Hochseeinsel an die Deutschen zurückgeben.
Letzte Aktualisierung: 25.10.2022
Zum Wiederaufbau-Team gehört der damals 20-jährige Paul Artur Friedrichs. Sieben Jahre lang hat er fern seiner Heimat Helgoland gelebt. Das Bild, das sich ihm bietet, übertrifft seine schlimmsten Erwartungen: "Die gesamte Südspitze war weggesprengt. Überall gab es Bombentrichter und Trümmer - es war schockierend", sagt Friedrichs.
Gewaltlose Invasion
René Leudesdorff setzte am 20. Dezember 1950 mit seinem Heidelberger Kommilitonen Georg von Hatzfeld nach Helgoland über, das militärisches Übungsgebiet der Briten war. "Es sollte eine gewaltlose Invasion sein", sagt Leudesdorff, der heute in Flensburg lebt. Die britische Regierung geriet unter Druck, es kam wieder zu Verhandlungen über die Freigabe der Insel. Die beiden Studenten hätten mit ihrer Aktion Bewegung in die umstrittene Helgoland-Frage gebracht, erklärt Oliver Auge, Professor für Regionalgeschichte an der Universität Kiel.
Ein Freudenfest
Am 1. März 1952 war der damalige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Friedrich-Wilhelm Lübke, mit Gästen nach Helgoland gefahren. Am Südhafen wurden Flaggen gehisst, auf dem Festland läuteten die Glocken - Helgoland gehörte wieder zu Deutschland. Es war ein Freudenfest", berichtet Olaf Ohlsen, der als Vertreter der Helgoländer Jugend beim Übergabe-Fest dabei war.
Deutschlands einzige Hochseeinsel sorgte in der Vergangenheit immer wieder für Auseinandersetzungen, wenn es um die Macht im Nordseeraum ging. "Zum Zankapfel zwischen den Nationen entwickelte sich das kleine Helgoland schon im Zuge der Napoleonischen Kriege", sagt Historiker Auge. 1890 übergaben die Briten Helgoland an das Deutsche Reich und erhielten dafür Teile Ostafrikas, die bislang unter deutscher Kolonialherrschaft standen.
Nazikriegshafen
Im Zweiten Weltkrieg wollten die Nationalsozialisten durch Aufspülungen und Betonbauten einen riesigen Marinehafen als Flottenstützpunkt errichten, der im Notfall einen Großteil der Reichskriegsflotte aufnehmen sollte. Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs machen die Insel unbewohnbar, die mehr als 2.000 "Halunder" - so nennen die Helgoländer sich selbst - mussten ihre Heimat verlassen.
Harte Jahre für die "Halunder"
Auch die Familie von Friedrichs war gezwungen, sich ein neues Zuhause zu suchen. Nach mehreren Stationen kamen sie schließlich in Hörnum auf Sylt unter. "Für meine Eltern war das wie für alle Helgoländer eine Katastrophe", erinnert sich Friedrichs. Sie hatten alles verloren, mussten wieder von vorn anfangen. "Das waren sehr, sehr harte Jahre."
Es gab nur Helgoland
Ohlsens Angehörige fanden in Cuxhaven eine neue Bleibe. Doch das Heimweh war stark. "Für meine Eltern und Großeltern gab es nur Helgoland, Helgoland, Helgoland", sagt der 76-Jährige. Sein Vater habe sehr für die Freigabe der Insel gekämpft. Dabei hielt er Kontakt zu dem Historiker und Journalisten Hubertus zu Löwenstein, der sich bei britischen Regierungskreisen für die Rückgabe des roten Felsens einsetzte.
Big Bang
Sieben Jahre lang nutzten die Briten Helgoland als Bomben-Trainingsgelände. Am 18. April 1947 wollten sie mit 6.700 Tonnen Munition alle militärischen Anlagen sprengen. Bei diesem "Big Bang" entstand ein riesiger Krater, der das heutige Mittelland an der Südspitze der Insel bildet. "Als Helgoland 1952 freigegeben wurde, war das eine Mondlandschaft", meint Ohlsen.
Doch die "Halunder" ließen sich nicht unterkriegen. Gemeinsam mit anderen Handwerkern lebte der junge Tischler Friedrichs vor 60 Jahren unter schwierigsten Bedingungen im Keller einer Hausruine. Sie arbeiteten zum Teil bei Minustemperaturen und Schneefall am Wiederaufbau der Insel. Die Helgoländer Familien kehrten zurück, die Hochseeinsel wurde wieder beliebtes Touristenziel und zollfreies Einkaufsparadies. Der Zusammenhalt sei in den Aufbau-Jahren sehr groß gewesen, erzählt Ohlsen. "Die Helgoländer sind stolz auf das, was alles geschafft wurde."
Stationen der Helgoländer Geschichte
Helgoland ist nicht immer Insel gewesen. Erst der steigende Nordsee-Meeresspiegel nach der jüngsten Eiszeit schnitt den Felsen vom Festland ab. Einige Stationen der wechselvollen Inselgeschichte:
1714: Die Dänen übernehmen die Herrschaft über Helgoland.
1720/21: Eine Sturmflut durchbricht die Verbindung von Hauptinsel und Düne. Die Düne war zuvor lange als Kalk- und Gips-Steinbruch genutzt und dadurch geschwächt worden.
1807: Die Dänen müssen den Briten weichen.
1826: Die touristische Karriere des Buntsandsteinfelsens beginnt. Jacob Andresen Siemens gründet das Seebad.
1890: übergeben die Briten Helgoland an das Deutsche Reich. Der Handel ist Bestandteil eines größeren Interessenausgleichs beider Länder.
18. April 1945: Die Insel wird nach einem verheerenden Luftangriff evakuiert.
18. April 1947: Die britische Armee zerstört mit einer gewaltigen Explosion das militärische Bunkersystem der Insel. Dabei entsteht das Mittelland.
1. März 1952: Nachdem Helgoland mehrere Jahre Sperrgebiet war und der britischen Luftwaffe als Bombenübungsgebiet gedient hatte, kann die Wiederbesiedlung beginnen.
1962: Helgoland wird Nordseeheilbad, der Tourismus nimmt einen schnellen Aufschwung und ist Haupteinnahmequelle der Insulaner.
26. Juni 2011: Der Vorschlag, Hauptinsel und Düne durch Landaufschüttung wieder zu vereinen und Flächen für neue touristische Infrastruktur zu gewinnen, scheitert in einem Bürgerentscheid. In den Jahren zuvor hatte sich der Besuch von Tagestouristen drastisch reduziert.
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